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Edmund Scholtz

 

Pfarrer, Abgeordneter und Kämpfer gegen den Anschluss an Österreich

„Dort unterhalb von Kohlenhof gehört die Grenze hin!“

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Pfarrer Scholtz war empört, als er von dieser Äußerung in einem Agendorfer Wirtshaus erfuhr. Er nahm, wie er selbst in seinen Erinnerungen schreibt, lebhaften Anstoß - vermutlich rügte er die Übeltäter auch heftig, denn das Recht der „Sittenaufsicht“ nahm er selbstverständlich für sich kraft seines Amtes in Anspruch. Damals aber, etwa um die Jahrhundertwende, so schreibt er, maß er der Angelegenheit keine allzu große Bedeutung bei. Den Übeltätern, dem Landwirtesohn Michael Böhm und dem Fleischhacker Ferdinand Steiner, hielt er ihre „Weinlaune“ und ihre Jugend zugute.

Scholtz versuchte diesen Vorfall zu erklären: „Es ist verständlich, dass in nationaler Hinsicht das nach Westen, Süden und Norden geschlossene und bis an die Österreichische Grenze reichende völkisch bewusste deutsche Hinterland, mit dem die meisten Agendorfer auch in steter wirtschaftlicher Verbindung standen, einen großen Einfluss auch auf die Bevölkerung ausübte. Dieser ihrer Einstellung gaben dann einzelne bei ihrer im Wirtshaus oder im Buschenschank entstandenen Weinlaune manchmal auch in kategorischer Form zum Ausdruck... Es fiel mir damals auf, dass der Ortsname von allen und beständig ‘Agendorf’, also deutsch genannt wurde ...“ (S. 39)

 

Hätte der Herr Pfarrer genauer auf Volkes Stimme gehört, hätte er diese Meinung wohl öfter und nicht nur von betrunkenen Jugendlichen gehört. Damals und bis in die Anschlusskämpfe hielt er an seiner großen Illusion fest: „Im Großen und Ganzen erfüllte jedoch die Bewohner des damaligen Agendorf derselbe Geist, der in den Familien ihrer selbst gewählten Führer, des Pfarrers, Lehrers und Notars herrschte: nämlich bewusste deutsche Volkszugehörigkeit und ebenso bewusste Staatstreue zu Ungarn.“ Schon damals, als sich dieser „Vorfall“ ereignete, dürfte Scholtz die Meinung der „Dorfhonoratioren“ mit der der Bevölkerung verwechselt haben. Der Ausgang der Ödenburger Volksabstimmung, die ja in Agendorf trotz allen Terrors eine große Mehrheit für Österreich erbrachte, muss eine schlimme Enttäuschung gewesen sein.

 

scholtz01Senior Edmund Scholtz starb am 8. Juli 1948 im 79. Lebensjahr. Er wurde am evangelischen Friedhof in Ödenburg begraben. Wann immer in Loipersbach über die Vergangenheit Agendorfs, über Anschluss an Österreich, die Ödenb

urger Volksabstimmung, Zwischenkriegszeit und Vertreibung gesprochen wurde, 

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fiel sehr bald der Name Scholtz. Wann immer vertriebene Agendorfer, unzählige Verwandte und Bekannte aus Deutschland, in den 1960er und 1970er Jahren zu Besuch kamen, getrieben vom Heimweh und mit der Absicht, während der Fahrt mit dem Korridorzug nach Deutschkreutz zumindest einen Blick auf Agendorf werfen zu können, war Scholtz Gesprächsthema. Mich faszinierte immer wieder die Ambivalenz, mit der Scholtz gesehen und beurteilt wurde: Scholtz, der allseits geachtete Pfarrer, der Herausgeber und Autor der Zeitschrift „Gotthold“ und des beliebten „Gotthold-Kalenders“ - und Scholtz der Politiker, der Anschlussfeind, der „Magyarone“: Scholtz, der liebevoll das Leben in seiner Gemeinde beschrieb, aber auch Scholtz, der „Herr“, der sich in „sittlichen“ Fragen die Einmischung auch in persönliche Angelegenheiten wie selbstverständlich erlaubte, der angeblich auch schuldige Kirchenabgaben gnadenlos eintreiben ließ …

 

In meiner eigenen Familie prallten die Meinungen nicht selten aufeinander. Eine Respektsperson blieb Scholtz allerdings für die meisten Menschen. Auch nach dem Anschluss konnte er ja noch Jahre lang von Agendorf aus - nun über eine Staatsgrenze hinweg- die Evangelischen in Loipersbach betreuen. Dass Scholtz als Politiker mit seiner positiven Einstellung zum ungarischen Staat hoffnungslos gescheitert war, hat man aber schon nach der Volksabstimmung geahnt und dann endgültig in der Zeit der gnadenlosen und gewaltsamen Magyarisierung, vor allem ab 1933, in der Gömbös - Ära, erkannt.

 

Eine faszinierende Persönlichkeit: geachtet, vielfältig, eigenwillig, überheblich...

Edmund Scholtz war jedenfalls eine der Schlüsselfiguren im Anschlusskampf. Zusammen mit dem Donnerskirchner Dr. Johannes Huber, katholischer Pfarrer in Neusiedl und später Domherr in Ödenburg, hat er wesentlich zum Widerstand gegen Österreich beigetragen und schließlich auch die Ödenburger Abstimmung maßgebend beeinflusst. Das „Huber - Scholtz - Memorandum“ war ein letzter, nicht ungefährlicher Versuch, das spätere Burgenland für Ungarn zu erhalten. Scholtz war in den entscheidenden Jahren Abgeordneter des Mattersburger Wahlbezirkes im Budapester Parlament.

 

Mein ganzes Historikerleben lang habe ich Informationen über Edmund Scholtz gesammelt. Trotzdem habe ich noch immer kein eindeutiges Bild von dieser vielfältigen, faszinierenden, eigenwilligen und wohl auch - aus heutiger Sicht - eigensinnigen bis überheblichen, patriarchalisch rückständigen, in den Kategorien des 19. Jahrhunderts denkenden Persönlichkeit.

 

Noch ist vieles im Leben von Edmund Scholtz unerforscht. Vor allem müsste die Rolle, die Edmund Scholtz im Budapester Parlament als Gefolgsmann des Nationalitätenministers Jakob Bleyer gespielt hat, noch näher untersucht werden. Scholtz wurde ja im Jänner 1920 als Kandidat der „Christlichsozialen Wirtschaftspartei“ bzw. der „Christlich-Deutschungarischen Integritätspartei“ im (überwiegend katholischen) Wahlbezirk Mattersburg zum Abgeordneten in die Ungarische Nationalversammlung gewählt. Er kämpfte mit unermüdlicher Energie für den Verbleib Deutschwestungarns und später Ödenburgs bei Ungarn. Er muss damals dutzende Reden gehalten, Manifeste verfasst, Artikel geschrieben haben. Seine „ungarländische“ Gesinnung war jedenfalls nicht zu erschüttern, auch wenn er den Wunsch nach deutscher Autonomie unterstützte. Indirekt kann man aber aus seinen „Erinnerungen“ - aus denen vermutlich politische Aussagen in der Druckversion gelöscht wurden - und aus seinen Reden auch Fragmente sein politisches Weltbild erschließen. 1924 war er einer der Mitbegründer des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins (UDV).

 

Die Person Edmund Scholtz hat viele Facetten. Es gibt den sehr selbstbewussten „Herrn“ Pfarrer Scholtz, abgehoben von der Gemeinde, sich seiner herausragenden Rolle als allseits anerkannte Autorität wohl bewusst. Ab 1912 war er auch Senior des Oberödenburger Seniorats und aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Superintendenten. Prägend war vermutlich seine vollständige Integration in die Honoratioren-Oberschicht der Stadt und des Komitats in Vorkriegsungarn. Obwohl Scholtz selbst sehr bescheidener Herkunft war - er stammte aus der Zips, seine Mutter starben schon früh, sein Vater war Förster - entwickelte er ein stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein und ein Standesbewusstsein, die sich mit Recht aus seiner Bildung, aus seinem Können und seinem Ansehen in der Gemeinde und weit darüber hinaus speisten. Wenig sympathisch ist die Art, wie er seine elitäre Position und seine Zugehörigkeit zur führenden Schicht immer wieder betont. Es ist wohl keine Unterstellung, wenn man annimmt, dass er den Verlust dieser Rolle in einem katholischen Österreich fürchtete und auch tatsächlich zu fürchten hatte.

 

Man müsste weit ausholen, um diese Position des „Herrn Pfarrers“ in der ungarischen Gesellschaft zu erklären. Es war die ungarische „Gentry“, der Kleinadel, materiell meist eher karg ausgestattet, aber voll Standes- und Nationalstolz, die nach dem „Ausgleich“ von 1867 das Heft im Staate, in der Verwaltung, im Kulturgeschehen fest in der Hand hatte und mit aller Kraft gegen das sich vor allem wirtschaftlich emanzipierende Judentum, gegen die neue, liberale und zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls jüdische Intelligenz ankämpfte. Die Strategie gegenüber den nationalen Minderheiten war differenziert, der Magyarisierungsprozess keinesfalls nur auf der Ebene brutalen Drucks angesiedelt. Die heranwachsende Intelligenz der Slowaken, der Deutschen, der Kroaten ... wurde „abgeschöpft“, für das Magyarentum gewonnen und durch gesellschaftlichen Aufstieg belohnt. Sie durfte sich „dazugehörend“ fühlen. Jakob Bleyer, der Nationalitätenminister, zu dessen Gefolgschaft der Abgeordnete Scholtz im Budapester Parlament gehörte, gestand dem „Ungarntum“ ja das Recht zu, die heranwachsende ungarndeutsche Intelligenz, in ausschließlich ungarischsprachigen höheren Schulen erzogen, zu „Magyaren“ zu machen. Spott an diesen Neomagyaren und an ihren magyarisierten Familiennamen wurde allenfalls im geschlossenen Kreis geübt.

 

Ein gutes Beispiel für dieses Abschöpfen der „Aufsteiger“ finde ich in meiner eigenen Familie. Der älteste Bruder meines Großvaters in Agendorf, Johann Grössing. war ein guter Schüler und wurde auf Wunsch des Pfarrers in das Ödenburger Lyceum geschickt. Die kinderreiche Schmiedfamilie hätte sich freilich diesen Besuch nicht leisten können. Außerdem sprach er kaum ein Wort Ungarisch. Nachdem er innerhalb eines Jahres die ungarische Sprache perfekt erlernt hatte erhielt er immer wieder, bis zum Abschluss des Theologiestudiums, großzügig Stipendien. Die Integration in die „Oberschicht“ wurde durch die Heirat mit einer Angehörigen der alten magyarischen Adelsfamilie Mesterházy abgeschlossen. Diese Heirat ging zwar nicht ohne Widerstand über die Bühne, sie wurde aber letzten Endes akzeptiert. Und wieder war ein deutscher Bauernbub für das Magyarentum gewonnen. Später entschied er sich freilich, anders als Scholtz, für Österreich, und wurde Pfarrer in Mörbisch.

 

scholtz04Ein solcher „Aufsteiger“ war, eine Generation früher, auch Edmund Scholtz. In seiner Heimat, der Zips, hatte der Prozess der Magyarisierung bereits viel früher eingesetzt. So war Scholtz durch und durch ein stolzer „Ungar“, ohne seine deutsche Herkunft verleugnen zu müssen. Er sprach und schrieb Ungarisch ebenso gut wie Deutsch. Die brutale Seite des Nationalitätenkampfes, die Verächtlichmachung der nichtmagyarischen Nationalitäten (Toth ember - nem ember! - Der Slowake oder Slawe ist kein Mensch! oder die Bezeichnung der Deutschen als „Bütös sváb“, als stinkende Schwaben) lag außerhalb seines Horizontes. So wie viele seiner Standesgenossen sah er noch immer in der Oberschicht die zum politischen Handeln berechtigte „Nation“, vom allgemeinen Wahlrecht, von der politischen Gleichberechtigung war man im Vorkriegsungarn trotz der Forderung der Opposition noch weit entfernt. Im Jahre 1911 etwa hatte Agendorf 1922 Einwohner, aber nur 121 Männer waren wahlberechtigt. Scholtz und die mit ihm in das Parlament gewählten westungarischen Abgeordneten darf man sich keinesfalls als „Politiker“ im heutigen Sinn vorstellen. Es waren Honoratioren, überwiegend adeliger Herkunft, die man als Kandidaten aufstellte und die von den wenigen Wahlberechtigten - wieder nur die dörfliche und städtische Oberschicht mit entsprechender Steuerleistung und Bildung - auch tatsächlich gewählt wurden. Anders wäre ja die Wahl des evangelischen Pfarrers Scholtz im katholischen Wahlbezirk Mattersburg auch kaum vorstellbar. Dass er, der Deutschungar bescheidener Herkunft, in diesen erlauchten und bewunderten Kreis der intellektuell und politisch führenden Gruppe aufsteigen konnte, hat Scholtz natürlich in seiner Loyalität zum ungarischen Staat gestärkt.

 

Scholtz und seine Gemeinde

scholtz06Trotz der in seinen „Erinnerungen“ gelegentlich spürbaren Abgehobenheit hatte Scholtz aber auch eine tiefe Zuneigung zu seiner Gemeinde, deren Geschichte er schrieb. Der zweite Teil seiner Kirchen- und Gemeindechronik, nach seiner Pensionierung im Jahr 1939 verfasst, wurde nicht mehr publiziert. Ein Teil wurde dankenswerter Weise von Herrn Michael Böhm erst in jüngster Zeit mit Zustimmung der Nachkommen in einem Privatdruck (teilweise) veröffentlicht. Diese Erinnerungen an seine lange Zeit als Pfarrer in Agendorf ermöglichen es, zumindest einige Komponenten im Weltbild des Pfarrers Scholtz zu erkennen. Ausgespart blieben freilich gerade die interessantesten politischen Ereignisse, etwa die Rätezeit, die „Schlacht von Agendorf“ oder die Ereignisse rund um die Volksabstimmung.

 

Geradezu liebevoll beschreibt Scholtz die Ortsbevölkerung, die er hierarchisch in die „Dorfintelligenz“, die Bauern und zuletzt in die Kleinhäusler - Handwerker - Arbeiterschicht gliedert. Der „Dorfintelligenz“ wie etwa den Ärzten oder dem pensionierten Husarengenaral Lukschander sowie den Beamten widmet Scholtz viele Seiten seiner Erinnerungen und vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass er persönlich in diesen Kreisen verkehrte. Aber auch die Bauern beschreibt er mit einer Detailliertheit und Fachkenntnis, die jedem Volkskundler Ehre machen würde. Seine Sympathie gehört den relativ gebildeten, in der Kirchengemeinde voll mitwirkenden, den Herrn Pfarrer und die Komitatsbeamten als Autorität uneingeschränkt akzeptierenden (und sie auch materiell unterstützenden) „Großbauern“ wie etwa den Dorfrichter Gottlieb Wödl.

 

 „Der Gesamteindruck aber war der, dass Agendorf von einem aufrechten, freundlichen, anständigen und sehr fleißigen deutschen Volk bewohnt wird, das seine Kirche liebt und seinen Pfarrer, sowie seine Lehrer ehrt und schätzt“. (S.24).

 

Das Weltbild des Herrn Pfarrers

Auf die politisch-weltanschaulichen Gegensätze geht Scholtz nur kurz ein: „Früher hatten die ‘Liberalen’ hier das Heft in der Hand. Zu diesen gehörten teils wohlhabendere, wie ältere Bauern. Nun traten aber die ‘Radikalen’, teils aus kleineren Bauern und Kleinhäuslern und jüngeren Leuten auf den Plan. Es gelang ihnen, im Presbyterium der Kirchengemeinde die Führung an sich zu ziehen. Doch waren es lauter ernste und ehrbare Männer, welche sich ... zugunsten des jungen Lehrers Samuel Weber einsetzten. Lehrer Purt zählte zu den ‘Liberalen’, Lehrer Weber zu den ‘Radikalen’“. (S.37) Scholtz ist also erstaunt und positiv überrascht, dass auch die oppositionellen „Radikalen“, aus heutiger Sicht eine keineswegs radikale, eher auf vorsichtige Reformen drängende Kleinbürgerpartei, als „ehrbare und ernste Männer“ erwiesen. Wenig Verständnis hat der Herr Pfarrer für einen Agendorfer, der mit einer „Zigeunerin“ zusammenlebt. Dass sich neben den beiden jüdischen Kaufleuten auch ein christlicher Kaufmann im Ort etabliert, begrüßt er lebhaft. Die Abneigung gegen die Juden wird immer wieder sichtbar, freilich bei weitem nicht in so radikaler Form, wie sie etwa Huber im katholischen „Sonntagsblatt“ vertrat.

 

Eher wenig Raum nimmt in den veröffentlichten Erinnerungen von Scholtz die „nationale Frage“, die Sprach- und Schulsprache ein, obwohl sie in seiner ganzen langen Amtszeit wohl eine zentrale Rolle gespielt haben muss. Vom Anfang an war der junge Kaplan offenbar gewillt, der magyarischen Sprache einen größeren Stellenwert zu geben. So erwähnt er mit leicht kritischem Unterton, dass sein „Pfarrherr“ Fleischhacker, der in Basel studiert  hatte und von der Theologenausbildung in Ödenburg wenig hielt, in der deutschen Geschichte und Literatur „wohl bewandert“ war, die ungarische Literatur aber kaum kannte und dafür auch nicht zu interessieren war, und dass dieser mit ihm ausschließlich deutsch sprach.

 

scholtz03Als Pfarrer hat Scholtz dann einige Neuerungen eingeführt, die keineswegs allen passten, die man aber als notwendigen Tribut an den Zeitgeist hinnahm: Zu „Kaisers Geburtstag“ am 18. August musste ein Festgottesdienst gehalten werden. Am Schluss ließ Scholtz nicht mehr wie bisher das „Gott erhalte...“ sondern die ungarische Nationalhymne „Isten áld meg a magyart“ singen, angeblich weil „die Leute“ Anstoß an der deutschen Hymne genommen hätten. Auch am Stephanstag (20. August) wurde die Nationalhymne gesungen, und nach dem Ersten Weltkrieg am Heldengedenktag, „bei welchen in Predigt und Gebet auch die ungarische Sprache jedesmal zur würdevollen Geltung kam.“ (S.67) Die meisten Agendorfer sahen dies wohl anders, akzeptierten aber die „Neuerungen“, so lange die deutsche Predigtsprache und eingeschränkt zunächst auch die Unterrichtssprache unangetastet blieben.

 

Auch das gesamte Geschehen rund um den Anschluss des Burgenlandes an Österreich und um die Volksabstimmung erwähnt Scholtz kaum, trotz der zentralen Rolle, die er dabei als Abgeordneter in Budapest und in Westungarn an der Seite des katholischen Pfarrers in Ödenburg, Dr. Johannes Huber, gespielt hat. Das muss man sehr bedauern, aber es stehen dafür aber auch andere Quellen zur Verfügung. Scholtz wollte „seine Agendorfer“ als ungarische Patrioten sehen. „Etwa drei Millionen Magyaren, eine Million Deutsche werden dem Joch minderwertiger Balkanvölker unterworfen. Dies alles beweist, dass sich unsere Feinde beim Festsetzen der Friedensbedingungen durch gierige Habsucht und blinde Rachsucht leiten ließen ... Der alte Gott, der Eisen wachsen lässt, lebt noch. Und wenn er uns am Ende des Weltkrieges nach seinem unerforschlichen Rat auch in ein noch so tiefes Elend stürzte, wir glauben an eine Auferstehung ...“ Und als Lehre aus dem Verlust Deutschwestungarns schreibt Scholtz, dass von nun an „auch auf die Pflege unseres deutschen Volkstums mehr Sorgfalt verwendet (werden soll) als bisher. Wir halten fest und treu zum Vaterland, aber wir hängen auch ebenso fest und treu an unserer deutschen Sprache und an unseren deutschen Sitten und Gebräuchen. die zu pflegen und zu fördern ‘Gotthold’ ebenfalls mit zu seinen höchsten Aufgaben rechnet“ (Gotthold-Kalender 1921, S.17). In der gleichen Ausgabe des Gotthold Kalenders schrieb Jakob Bleyer als damaliger Nationalitätenminister: „ Wir geloben, für das ungarische Vaterland zu leben und zu sterben., aber an unserem Volkstum wollen und müssen wir festhalten- Nur so können wir unsere Sendung, wie sie sich durch tausend Jahre in der Geschichte Ungarns manifestierte, auch jetzt und in aller Zukunft erfüllen.“ (S. 46)

 

Gustav Gratz, vorübergehend Außenminister und selbst ungarndeutscher Herkunft, hielt von der Linie Bleyers und von dessen doppelter Identität wenig. Er sah, dass sie für den Germanistikprofessor Bleyer und andere Intellektuelle lebbar war, dass sie aber bei den meisten einfachen Menschen zu einer unauflösbaren und untragbaren Spannung zwischen dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum und zum zunehmenden nationalistisch - magyarisch geprägten Staatsbewusstsein führen müsse. Auch die meisten Magyaren waren - angesichts der tiefen nationalen Demütigung - nicht mehr in der Lage, diese doppelte und gespaltene Identität zu verstehen und zu ertragen. Für sie waren Bleyer, Scholtz, Huber ... „Pangermanen“, ja Landesverräter.

 

In den „Erinnerungen“ fehlt auch ein weiteres Schlüsselerlebnis, das Scholtz offenkundig bewogen hat, sich politisch zu betätigen: Die Räterepublik. Sie hat die Dorfbevölkerung emotionalisiert, ja aufgewühlt wie kein anderes Ereignis. Wahl des „Arbeiter- und Bauernrates“, Kirche und Schule enteignet und verstaatlicht, die Drohung, auch die Bauern zu enteignen, Alkohol- und Tanzverbote, das Auftreten der kommunistischen „Kommissare“, die Radikalität Sandor Kellners und Tibor Szamuelis - das alles hat die bisher führende Schicht auch im Dorf traumatisiert. Mit den beiden Eisenbahnern Mathias Schmidt und seinem Sohn Mathias Schmidt hatte das Dorf auch zwei Opfer der Rätediktatur zu beklagen. Der „Volkskommissar“ Tibor Szamueli stellte sie vor ein Revolutionstribunal. Man warf ihnen vor, sie hätten Schienenschrauben gelockert. Beide wurden zum Tode verurteilt und gehängt. Der passive Widerstand - etwa in der Weigerung, das neue, „weiße“ Geld anzunehmen, war auch in Agendorf sehr stark. Scholtz selbst scheint sich in der Rätezeit stark zurückgehalten zu haben, jedenfalls sind keine Zwischenfälle bekannt.

 

Die ausgeprägt antisozialistische Grundhaltung, die sich dann auch in der Ablehnung eines Anschlusses an das „rote“ Österreich äußerte, hat hier jedenfalls ihre Wurzeln. Es ist durchaus möglich, dass Scholtz entsprechende Passagen in seinen „Erinnerungen“ gestrichen hat, wie der Herausgeber Michael Böhm andeutet. Es könnte ja sein, dass Teile der Erinnerungen erst zwischen 1945 und 1948 geschrieben wurden. Michael Böhm liefert uns in seinen Ergänzungen zu den „Erinnerungen“ des Pfarrers Scholtz ein überaus aufschlussreiches Protokoll der Sitzung der Gemeinderepräsentanz (des Gemeinderates) von Agendorf am 14. August 1919, nach dem Sturz der Räteregierung, das die Stimmung, in der sich die führende Schicht befand, wider gibt:

 

„Sturz der Revolutionsregierung. Ein schäbiger Defraudant, namens Adalbert Kohn, magyarisiert auf Béla Kun, ein Jude, war der Revolutionspräses im Lande. Für Sopron /Ödenburg war Alexander Kellner, ebenfalls ein Jude, der politische Kommissar. Verflucht soll das Andenken dieser Volks- und Landesbetrüger sein. ... Sämtliche während der Rätezeit gefassten Beschlüsse werden als null und nichtig erklärt“. (S. 88) Der „Direktor“ (der an die Stelle des Richters getreten war) wurde abgesetzt und an seiner Stelle der reiche Bauer Johann Rath als Richter eingesetzt.

 

Die politische Einstellung von Scholtz kann man aus einem Artikel im Gotthold-Kalender von 1921 (die beiden Ausgaben 1919 und 1920 konnten nicht erscheinen) erschließen, der nicht namentlich gekennzeichnet ist, aber sehr wahrscheinlich aus der Feder des Pfarrers stammt oder zumindest voll und ganz seiner Meinung entsprach:

 

„Graf Károlyi und seine Partei mussten bald wahrnehmen, dass ihre pazifistische Richtung verfehlt war ... (sie) benützten die Gelegenheit zur größten Gaunerei, indem sie die Regierung Béla Kun und anderen aus Russland heimgekehrten jüdischen Kommunisten übergaben, die dann die Proletarierdiktatur ausriefen. Damit begannen die schändlichsten und schrecklichsten Tage, die wir gerne aus der Geschichte unseres Landes löschen möchten. Aus den Zuchthäusern entsprungene Räuber und Mörder, fast ausschließlich jüdischer Rasse, rissen als so genannte Volksbeauftragte die Gewalt an sich und behaupteten dieselbe mit den schauderhaftesten Mitteln eines nur den Auswürfen der Hölle eigenen Terrors vier Monate hindurch. An einem Popány, Szamueli, Kellner und wie sie alle hießen, zeigte sich unverhüllt die Bestie im Menschen und bei ihrem rasenden Morden und Rauben ...“ Gotthold-Kalender 1921, S.63

 

Scholtz wird Abgeordneter

Nach der „weißen“ Gegenrevolution und nach der Wiederherstellung der alten Verhältnisse - die alten Gemeinderepräsentanzen wurden wieder eingesetzt - wurden die Christlichsozialen überaus aktiv. Sie hatten ja in Ödenburg schon eine länger zurückreichende Tradition und waren nicht zuletzt von den christlichsozialen Ideen Luegers geprägt. Sie waren patriotisch-ungarisch, antisozialistisch, antisemitisch und auch fanatische Gegner der großdeutschen Anschlussfreunde in Wien und im Lande selbst. Besonders Karl Wollinger und Dr. Alfred Walheim, der ja Ödenburger Abstammung war, wurden geradezu fanatisch bekämpft. Adelige und Pfarrer waren ihre handelnden Persönlichkeiten. Im Ödenburger Komitat war es die „Christlichsoziale Wirtschaftspartei“ (Keresztény Szociális Gazdasági Párt), die nunmehr das Geschehen in den Dörfern, meist unter Leitung der Pfarrer, bestimmte. Sie wurde am 5. Oktober 1919 in einer Versammlung in Mattersburg, an der angeblich über 4000 Personen teilnahmen, gegründet. Sowohl Katholiken wie Evangelische sollten sich in der Partei vertreten sehen. Zu Führern der Partei wurden daher Senior Edmund Scholtz und der Ödenburger Pfarrer Dr. Johannes Huber gewählt. In den Wahlen von 1920, in denen man den Erfolg der Deutschen Freiheitspartei durch administrative Maßnahmen verhindert hatte, wurde Scholtz als Abgeordneter des Mattersburger Wahlbezirkes in die ungarische Nationalversammlung gewählt. In den Ortschaften sollten Ortsgruppen gebildet werden und der neue Nationalitätenminister Jakob Bleyer besuchte gemeinsam mit Dr. Huber zahlreiche Gemeinden, ohne allerdings auf allzu große Begeisterung zu stoßen. Scholtz trat an der Seite Bleyers entschieden für den Verbleib Deutschwestungarns bei Ungarn, aber auch für die Gewährung von Autonomierechten ein. Mit dem „Christlichen Ödenburger Tagblatt“ hatte man eine einflussreiche Zeitung zur Verfügung, umso mehr als die in der Anschlussfrage neutrale „Ödenburger Zeitung“ brutal zensuriert, ihr Chefredakteur Hans Ambroschitz verfolgt wurde und schließlich fliehen musste.

 

Die nationale Frage und die Schulfrage

Es fiel Scholtz wohl auf, dass „trotz der Nähe zu Ödenburg, mit ihren vielen auch evangelischen Schulen, was sonst das Studium sehr erleichtert hätte, verhältnismäßig nur wenig akademisch Gebildete, sogenannte Studierte, hervorgingen.“ (S.62) Er erwähnt die Pfarrer Harnwolf, Lostorfer, Hollndonner, Kirchknopf und Grössing, den Lehrer Karl Mayer, den Rechtsanwalt Dr. Proßwimmer und die Kaufleute Thomas Kirchknopf (Ofen/Buda), Hauer, Hackstock (Ödenburg) und Kirchknopf (Güns). In der Zwischenkriegszeit würden nun, meint er, weit mehr Agendorfer in Ödenburg studieren. Nach den Ursachen dieser auffallenden Tatsache fragt Scholtz zunächst nicht. Er erkennt offenbar nicht den negativen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit und den mangelnden Aufstiegschancen in vielen Bereichen, etwa in der Verwaltung. Später schildert er mit Stolz die beachtlichen Beamtenkarrieren seiner beiden Schwäger aus der Familie des Agendorfer Notars Gustav Adolf Blickle - nach deren Magyarisierung „Bártfay“. Gustav Adolf Bártfay war Jurist, wurde in das Finanzministerium berufen und war um 1940 sogar Staatssekretär. Emil Rudolf Bartfay, Vitéz (=Held), war Oberregierungsrat in Budapest und im 2. Weltkrieg Leiter der Militärsection. Scholtz liefert mit der Darstellung der Karriere seiner beiden Schwäger selbst - ohne dass ihm dies wahrscheinlich bewusst war - die Erklärung für die bescheidene Aufsteigerquote. Wer sich anpasste und bedingungslos der ungarischen Nation verschrieb, hatte natürlich viele Möglichkeiten.

 

Was Scholtz offenbar ebenfalls nicht sehen wollte oder zumindest nicht beschrieb, weil es im nachhinein ja sein Eintreten für den Verbleib bei Ungarn ins Unrecht setzte, waren die enormen Probleme, die junge Agendorfer an den Ödenburger Schulen bekamen, wenn sie auf ihr Volkstum beharrten. Gerade diese Aussichtslosigkeit auf einen gesellschaftlichen Aufstieg trotz entsprechender (ungarischer) Schulbildung war es ja, die nahezu die ganze junge Generation in den Volksbund trieb. Diese war nicht mehr bereit, den sozialen Aufstieg mit nationalem Identitätsverlust zu erkaufen - und genau dieser wurde nach Trianon verlangt. Scholtz übersah, dass - anders als noch in seiner Jugend - das Bekenntnis zum ungarischen Staat und die Zweisprachigkeit nicht mehr genügten, um die Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. Es wurde das „aktive“ Bekenntnis zur magyarischen Nation verlangt und den Schülern und Studenten klar gesagt: Ihr habt als Deutsche keine Chance, ihr müsst Magyaren werden, und zwar voll und ganz. Ihr müsst als sichtbares Zeichen eure Namen ablegen, und sei es auch nur für die bescheidene Anstellung bei der Bahn, der Post oder beim Militär. In Agendorf konnte diese Methode umso weniger funktionieren, als man hier ja im unmittelbaren Kontakt zum deutschen Sprachraum stand.

 

Parallel zu diesen Veränderungen der Rahmenbedingungen hat sich aber auch - vielfach als Reaktion auf den immer brutaler werdenden Magyarisierungsdruck - das Selbstwertgefühl der Deutschen in Ungarn geändert. Dazu hat Scholtz als Mitbegründer des Ungarndeutschen Volksbildungsvereins und als Gefolgsmann Jakob Bleyers ja nicht unwesentlich beigetragen. Nur waren alle Versprechungen unerfüllt geblieben, wie zuletzt Norbert Spannenberger in seiner ausgezeichneten Monographie über den „Volksbund unter Horthy und Hitler“ deutlich gezeigt hat. Jeder Kontakt mit den staatlichen Behörden demonstrierte erneut, manchmal auf demütigende Art und Weise, wie wenig man geneigt war, auch nur die bescheidenste kulturelle Autonomie zu geben. Das Bleyersche Ideal vom Ungarndeutschen als guten magyarischen Patrioten funktionierte nicht mehr. Das multiethnische Reich der Stephanskrone war zum magyarischen Nationalstaat geworden, der seine Minderheiten um jeden Preis zu Magyaren machen wollte. Für Scholtz muss dies im höchsten Grad enttäuschend gewesen sein, zumal er selbst ja wiederholt heftigen Angriffen der Nationalisten ausgesetzt war. In seinen Erinnerungen merkt man davon allerdings nichts. Das zeugt von einem sturen Festhalten an seiner Grundhaltung. Vielleicht hatte er auch die Aussichtslosigkeit eines Widerstandes erkannt, vielleicht dachte er auch an die Zukunft seiner Kinder. Für alle diese Motive müsste man Verständnis aufbringen.

 

In einem einzigen Punkt zeigt Scholtz große Nachdenklichkeit. Man merkt es dem Text förmlich an, wie er hier mit sich selbst ringt. Er beklagt die zunehmende „Kulturlosigkeit“ der jüngeren Generation im Vergleich zur älteren Bauerngeneration, die in Wort und Schrift noch sattelfest war. „So viel ich aber auch über die Ursache dieses kulturellen Rückfalls nachsinne, kann ich keine andere Ursache ersinnen, als die Einführung und beständige Forcierung des zweisprachigen und dabei ganz besonders des für die Schulkinder unverstandenen, folglich fremdsprachigen magyarischen Unterrichts. Das führte zum Zurückdrängen und schließlich von 1907 (an) zum gänzlichen Einstellen des Unterrichts in der Muttersprache, in der er in der Schulzeit dieser gediegenen Männer ausschließlich erteilt wurde“. (S44)

 

Mit „Kulturlosigkeit“ meinte Scholtz offenbar die mangelhaften Lese- und Schreibfähigkeiten, trotz der enormen Anstrengungen der Lehrer. Dabei waren die Startbedingungen für den zweisprachigen Unterricht keineswegs schlecht. Zur Zeit Fleischhackers wurde vier Wochenstunden Ungarisch unterrichtet. Und es war wohl den meisten Deutschungarn klar, dass man auch aus wirtschaftlichen Gründen die Staatssprache erlernen musste. Scholtz weist mit Recht darauf hin, wie gut das funktionierte, vor allem durch den „Kindertausch“. Die völlige Unterdrückung der Muttersprache aber führte in den Abgrund. Es muss für Scholtz eine bittere Einsicht gewesen sein.

 

Das Huber-Scholtz-Memorandum

Am 8.November 1920 wurde in Budapest das „Huber-Scholtz-Memorandum“ veröffentlicht. In Österreich hatten inzwischen Nationalratswahlen stattgefunden, die Christlichsozialen hatten die Mehrheit errungen und man hoffte nun in Ungarn, entsprechend den geheimen Absprachen, die es mit den Christlichsozialen und ihnen nahe stehenden Kräften gegeben hatte, Deutschwestungarn behalten zu können.

 

„Um in letzter Stunde einen dauernden unseligen Zwist, der zwischen Ungarn und Österreich, zwischen dem ungarischen und deutschen Volk infolge der westungarischen Frage droht, vorzubeugen, und um es zu ermöglichen, dass Westungarn anstatt zu einem Keil zu einer Brücke zwischen den beiden durch Natur und Geschichte auf einander angewiesenen Völkern werde, schlagen wir bodenständigen Vertreter des durch die Friedensverträge Österreich zugesprochenen Gebietes von dem innigsten Wunsch durchdrungen, einen Ausweg zu finden, folgende Punkte als Basis für eine Verhandlung vor:

 

  1. Das strittige Gebiet wird nicht an Österreich angeschlossen, vielmehr wird das gesamte deutsche ethnographische Gebiet Westungarns bei Wahrung der völkischen Rechte der Kroaten in der Form eines autonomen Komitats als integrierender Teil der St. Stephanskrone erhalten bleiben.
  1. Um zu verhindern, dass durch diese politische Lösung Österreich einen insbesondere für seine Ernährungslage bedenklichen Ausfall erleide, soll durch gegenseitige Vereinbarung ein Weg gefunden werden, der die wirtschaftlichen Interessen Österreichs in diesem Gebiet gewährleistet.
  1. Um etwaige strategische Bedenken Österreichs für Wien zu zerstreuen, soll die Besatzung des von diesem Gesichtspunkt in Betracht kommenden Gebiets nur aus einheimischer Miliz bestehen.

 

Unterzeichnet war das Memorandum von Dr. Johannes Huber, Abgeordneter des Bezirkes Neusiedl, Edmund Scholtz, Abgeordneter des Bezirkes Mattersdorf, Franz Thomas, Abgeordneter des Bezirkes Güssing, Mathes Nitsch, Abgeordneter des Bezirkes Zinkendorf und Johann Sabel, Abgeordneter des Bezirkes Eisenstadt. Huber, Sabel und Thomas waren katholische Priester, Nitsch evangelischer Journalist und Schriftsteller aus Straß-Sommerein (Hegyeshalom).

 

Scholtz und die übrigen deutschen Abgeordneten wurden hier von der ungarischen Regierung geschickt eingespannt, um doch noch eine Revision des Friedensvertrages zu erreichen. Begleitet wurde die Aktion von einer Pressekampagne, nicht nur in Ungarn. Auch christlichsoziale Zeitungen in Österreich und deutschnationale Zeitungen in Deutschland ließen sich einfangen und berichteten wohlwollend. Huber und Scholtz griffen nach dieser vermeintlichen Chance, um dem Dilemma einer Entscheidung zwischen Volkstreue und Staatstreue zu entgehen. Sie fassten nach dem Strohhalm und übersahen dabei, dass alle bisherigen Autonomieversprechungen Ungarns unerfüllt geblieben waren. Versprochen wurde in Budapest erneut viel, sogar ein eigenes deutschwestungarisches Bistum mit Sitz in Ödenburg. Es wurde jedoch, wie nicht anders zu erwarten, keine einzige konkrete Maßnahme gesetzt.

 

In Wien spielte die neue christlichsoziale Regierung ein gefährliches Spiel- Bundeskanzler Mayr war zwar persönlich nicht bereit, auf das Burgenland zu verzichten und in der Öffentlichkeit durften es die Christlichsozialen keineswegs wagen, auf einen solchen Verzicht einzugehen. Die Stimmung in der Bevölkerung hätte die Regierung hinweg gefegt. So überließ man es einzelnen Parteifreunden, den Ungarn Hoffnung zu machen. Einen eleganten Ausweg glaubte man dabei gefunden zu haben: Man musste den „Schwarzen Peter“ wenn möglich den Großdeutschen zuspielen. Der österreichische Sektionsrat Riedl, der im November 1920 zu Gesprächen über einen Handelsvertrag in Budapest weilte, gab den Ungarn den heißen Tipp: „... dass Vertreter aller deutschvölkischen Gaue Ungarns bei den Großdeutschen in Wien ihren Standpunkt darlegen ...und am besten eine Einwirkung auf die Großdeutschen über Berlin erfolgen sollte“ (zitiert nach Schlag, Aus Trümmern geboren).

 

Diesem Wink folgte man in Budapest und gab dem Nationalitätenminister Bleyer und der Huber - Scholtz Gruppe freie Hand. Diese wurden damit zu Schachfiguren in der internationalen Politik. Bleyer und Huber begaben sich nach Wien und stellten ihre Sicht der Dinge dar, Scholtz nutzte seine Kontakte zu evangelischen Kreisen in Deutschland. Auch Huber unternahm eine Deutschlandreise. Aus einem Brief an einen bayrischen Landtagsabgeordneten, den Schlag (S.360) zitiert, geht die Argumentationsweise Bleyers und der Huber - Scholtz-Gruppe hervor:

 

„ ... Es ist geradezu selbstverständlich, dass nach einer Lostrennung des westungarischen Deutschtums der ungarische Nationalismus, der nach den vielen bitteren Erniedrigungen der Letzten Jahre heller denn je lodert, das kleine Ungarn zu einem völkisch einheitlichen Nationalstaat um jeden Preis umzugestalten bestrebt sein wird. Es wird eine Magyarisierung des Deutschtums erfolgen, so gewaltig und mit solcher Entschlossenheit, wie sie die Geschichte der Magyarisierungspolitik nicht kenne...“ Bleyer sollte mit diesen Befürchtungen Recht behalten.

 

Die österreichischen Großdeutschen waren von den Argumenten der Huber – Scholtz - Gruppe sehr beeindruckt und voller Sorge um die Zukunft des ungarländischen Deutschtums. Der Versuch, ihnen dafür die Verantwortung zuzuschieben, erwies sich als ein geschickter Schachzug. Zu einem Verzicht auf das Burgenland waren sie aber nicht zu bewegen. Daraufhin versuchten Bleyer und die Huber - Scholtz Gruppe, den Hebel verstärkt in Deutschland anzusetzen, um so Druck auf die österreichischen Großdeutschen auszuüben. Man argumentierte, dass nur eine starke deutsche Minderheit einen prodeutschen Kurs Ungarns garantieren würde. Die deutsche Reichsregierung wurde um „Vermittlung“ ersucht. Für diese entstand eine heikle Situation. Der deutsche Gesandte in Wien, Rosenberg, warnte jedoch vor einer Einmischung. Ihm wurde zugetragen, dass sich die Wiener christlichsoziale Regierung im Falle eines Nachgebens in der Burgenlandfrage der Opposition und der Bevölkerung gegenüber auf den „deutschen Druck“ ausreden wollte. Auch aus Budapest wurde die deutsche Regierung vor dieser Falle gewarnt: „ ...es wäre mit Sicherheit vorauszusehen, dass die christlichsoziale Regierung von der Opposition bedrängt, alle Schuld an dem angeblichen Volksverrat ohne Zögern auf uns abwälzen ... würde“ (Schlag, S.361). Das Außenamt in Berlin lehnte daher eine Einmischung ohne offizielles Ersuchen der österreichischen Regierung ab.

 

Damit war die Huber - Scholtz - Initiative endgültig gescheitert. Interessant wäre es heute, zu wissen, ob Scholtz letzten Endes das ganze Spiel durchschaute und ob er nicht damals wie in der ganzen Anschlussfrage und in der Abstimmung von Ödenburg missbraucht wurde.

 

Die Volksabstimmung

Im Kampf um Ödenburg trat Scholtz wie nahezu alle seiner Pfarrer- und Priesterkollegen auch von der katholischen Seite entschieden für Ungarn auf. Der Ödenburger Heimatdienst musste immer wieder mit Verbitterung feststellen, dass Predigt und Kirche für die proungarische Agitation missbraucht wurde. In Österreich gäbe es keine Religionsfreiheit, dort müssten alle Protestanten katholisch und - kurioserweise - die Katholiken evangelisch werden. Man versuchte dieser äußerst wirksamen Beeinflussung der Bevölkerung, die die Treue zur heiligen Stephanskrone in die sakrale Sphäre erhob und die Entscheidung für Ungarn als den Willen der Kirche darstellte, von Seiten des Heimatdienstes mit Stellungnahmen österreichischer Geistlicher entgegen zu treten. Das Problem war auch auf diesem Gebiet, wie insgesamt in der gesamten Anschlusspropaganda, dass die Verbreitung dieser Aufrufe von den ungarischen Behörden mit aller Macht verhindert wurde.

 

Das ungarische Vaterland hat weder Scholtz noch Huber ihre patriotische Haltung gelohnt. Sie wurden als „Pangermanen“ beschimpft, Huber von nationalistischen Studenten in aller Öffentlichkeit geschlagen und wegen Staatsverrates angeklagt. Bei der nächsten Wahl verloren die Christlichsozialen sogar ihre Mehrheit im Ödenburger Raum, ein sozialdemokratischer Abgeordneter zog in das ungarische Parlament ein.

 

Scholtz verlegte seine Aktivitäten auf die Gründung und den Ausbau deutschungarischer Bildungseinrichtungen. Er musste erleben, dass auch auf diesem Gebiet alle Versprechungen der deutschen Volksgruppe gegenüber gebrochen wurden. Der Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein, der auch in Agendorf eine schon 1924 gegründete Ortsstelle hatte, galt bald unter den Jungen als antiquiert, die Hoffnung auf ein friedliches Auskommen mit der magyarischen Mehrheit als eine Illusion.

 

Scholtz ging 1939 in Pension. Den geistigen und politischen Aufbruch, der durch den Volksbund ausgelöst wurde und besonders nach dem Wiener Abkommen von 1940 mit dem Deutschen Reich eine Explosion im Selbstverständnis auch der Agendorfer auslöste, konnte er nur mehr von Ödenburg aus beobachten. Er selbst ließ sich nicht mehr vereinnahmen. Nur einmal taucht sein Name noch auf: beim Versuch, ein rein deutsches evangelisches Seniorat in Westungarn zu schaffen. Der Versuch blieb erfolglos.

 

Die Zeit der Vertreibung der Agendorfer aus ihrer Heimat war wohl auch für Scholtz eine schwere Zeit. Das Schicksal, sich entscheiden zu müssen, ob er bleibt oder ob er mit seinen Agendorfern in die Fremde und ungewisse Zukunft geht, blieb ihm erspart. Sein Nachfolger als Agendorfer Pfarrer ging mit dem Großteil der Gemeinde, ebenso der Harkauer Pfarrer Danielisz, obwohl er als einziger Harkauer hätte bleiben dürfen. Anders entschied sich der Wandorfer Pfarrer Dr. Pröhle, der als Universitätsprofessor in Ungarn Karriere machte. Dass er seine Wandorfer heftig angriff und ihnen selbst einen Teil der Schuld an ihrer Vertreibung zuwies, hat diese sehr verbittert.

Michael Floiger