Die Gemeindestrukturreform ("Gemeindezusammenlegung") begann 1970 aktuell zu werden und rückte immer mehr in den Mittelpunkt des tagespolitischen Geschehens. Den politischen Parteien war wohl bewusst, dass die ganze Problematik nicht ohne schwere Probleme über die Bühne gehen würde. So wurden etwa die sozialistischen Vertrauensleute bei einer großen Tagung 1970 auf die schwierige Aufgabe vorbereitet. Die politischen Parteien beriefen sich auf "wissenschaftliche" Grundlagen (Gutachten der Raumplaner), denen sie "weitgehend" gefolgt seien. Tatsächlich spielten aber parteipolitische Überlegungen eine wichtige Rolle. Sowohl die SPÖ wie die ÖVP legten eigene Vorschläge vor. Die Gemeindezusammenlegung wurde von Verhandlungskomitees der beiden Großparteien - je drei Personen - ausgehandelt. Im Juli 1970 waren die Verhandlungen abgeschlossen, die Parteigremien stimmten den Beschlüssen zu. Die Gemeinden wurden über die bevorstehende "Strukturreform" kaum informiert. Widerstände gegen den SPÖ -Vorschlag gab es vor allem im Raume Pinkafeld, bei der Zusammenlegung von Neckenmarkt und Horitschon und bei der geplanten Großgemeinde Wulkatal. Schließlich wurde von oben her, ohne wesentliche Mitsprache der Gemeinden, durch partei-politische Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ "gelöst".
Die Haltung der Gemeinden und der Bevölkerung war unterschiedlich. Vielen Kleingemeinden war klar, dass die Zusammenlegung aus wirtschaftlichen Gründen unumgänglich war und manche Gemeinderäte waren froh, dass ihnen durch den "Zwangszusammenschluss" die Verantwortung vor der Bevölkerung abgenommen wurde. Das änderte aber nichts daran, dass manche Zusammenlegungen vom Anfang an heftig umstritten waren - und schließlich auch wieder rückgängig gemacht wurden. Die im Herbst 1970 noch gefeierte Gemeindezusammenlegung wurde schon bald zur Belastung: In einigen Gemeinden kam es zu heftigen Protesten, ja sogar zu Demonstrationen vor dem Landhaus. Dem Vertrauen in die Politik hat die Zusammenlegung ohne wesentliche Mitsprache der Bevölkerung langfristig eher geschadet.
Aus heutiger Sicht wird die Gemeindestrukturreform sehr unterschiedlich beurteilt. Viele Gemeinden verloren mit ihrer Selbständigkeit auch ihr politisches und in weiterer Folge auch kommunikatives und kulturelles Zentrum...
Von 319 Gemeinden wurden 259 zur Auflassung vorgesehen. Sie sollten zu 65 neuen Gemeinden zusammengeschlossen werden. Insgesamt sollte es im Burgenland nur mehr 125 Gemeinden geben. Dieses Vorhaben wurde weitgehend verwirklicht. Es gab nach Durchführung der Reform nur mehr 128 Gemeinden. Nur mehr vier Gemeinden hatten weniger als 1000 Einwohner.
Zusammenlegung als Rezept ...
Nicht zuletzt die vielen neuen kommunalen Aufgaben wie Wasserleitungs- und Kanalbau, Schul- und Gemeindeämter, die hohen Ausgaben für die Industrieansiedlungspolitik hatten gezeigt, wie schwer diese Aufgaben für die finanzschwachen Gemeinden zu lösen waren. Die Schuldenlast stieg. Die Ertragsanteile an den Einnahmen des Bundes aber waren gering, da diese nach der Gemeindegröße gestaffelt waren und vor allem die vielen Gemeinden unter 1000 Einwohner sehr benachteiligt waren.
Den Ausweg aus dieser Situation glaubten SPÖ und ÖVP in der "Gemeindestrukturreform", im wesentlichen in der Zusammenlegung der Gemeinden, zu erkennen. Die Raumplanungsstelle erarbeitete ein Konzept, das aber in den Parteienverhandlungen noch abgeändert und schließlich 1970 beschlossen wurde. 254 Gemeinden wurden aufgelöst und zu 73 neuen Gemeinden zusammengeschlossen. Ab 1.Jänner 1971 nur mehr 138 Gemeinden. Manche dieser Maßnahmen wurden akzeptiert, vor allem im Südburgenland, wo viele Kleinstgemeinden nicht mehr in der Lage waren, ihren kommunalen Aufgaben nachzukommen, andere Zusammenlegungen aber stießen auf heftigste Ablehnung und Empörung. Das traf vor allem dort zu, wo man wenig Rücksicht auf Strukturunterschiede zwischen benachbarten Gemeinden nahm und vor allem parteipolitischen Erwägungen folgte. Über zwei Jahrzehnte blieb der Widerstand aufrecht, bis schließlich einige der Zusammenlegungen rückgängig gemacht werden mussten.
Gemeindestruktur in Zahlen
319 Gemeinden - davon 230 weniger als 1000 Einwohner ( 7 Gemeinden unter 100 EW, 33 Gemeinden 100-200 EW, 45 Gemeinden 200-300 EW, 52 Gemeinden 300-500 EW, 93 Gemeinden zwischen 500 und 1000 Einwohner)
Nach der Reform:138 Gemeinden - davon 4 unter 1000 Einwohner
Geringe Finanzkraft
"Nach fast zweijährigen Verhandlungen zwischen den Vertretern der beiden Regierungsparteien, die auf Grund von Vorlagen des Landesamtsdirektion und der Raumplanungsstelle geführt wurden, kann man schließlich zur Einigung über eine Neustrukturierung des burgenländischen Kommunalwesens. Von der Entschlossenheit und dem Mut der Burgenländischen Landesregierung und des Landtages nahm die österreichische Öffentlichkeit, besonders aber das Fernsehen und der Rundfunk Notiz und brachten darüber ausführliche Berichte": (BF 3.Sept.1970)
Haltung der ÖVP zur Gemeindezusammenlegung
"Nach gründlichen, sorgfältigen und vom großen Verantwortungsbewusstsein getragenen Überlegungen entschied sich die ÖVP für eine tragbare Lösung - für einen Kompromiss. So konnte nach oftmaligen und langwierigen Verhandlungen erreicht werden, dass die SPÖ von ihrem Vorhaben einer großräumigen Lösung Abstand nahm. Wäre es nach den Sozialisten gegangen, wären heute z.B. die Gemeinden Oberpullendorf, Stoob und Neutal nicht mehr selbständige Gemeinden, sondern eine zusammengeschlossene Großgemeinde. Der Bezirk Jennersdorf würde lediglich aus fünf Großgemeinden bestehen.
Aber auch die ÖVP musste Abstriche in Kauf nehmen, vor allem war der Wunsch nach Freiwilligkeit nicht durchzusetzen, aber auch eine stärkere Berücksichtigung der sprachlichen und konfessionellen Wünsche war nicht zu erreichen. Dafür konnte so manche Gemeinde ihre Selbständigkeit behalten... " ( Eine Partei für das Burgenland. ÖVP. Eisenstadt 1985, S.116)
"(Es) ergibt sich ... die Frage, ob und inwieweit sich die seinerzeitigen Hoffnungen erfüllt haben, bzw. wie sich die Zusammenlegung für die Gemeinden ausgewirkt hat. Wie jede Medaille hat auch die Gemeindezusammenlegung zwei Seiten: als positiv ist zu bewerten, dass die Gemeinden durch den Zusammenschluss in der Regel in die Lage versetzt wurden, den Erfordernissen der Zeit eher gerecht zu werden, insbesondere dadurch, dass sie in Form des Finanzausgleiches vom Bund höhere finanzielle Mittel erhalten.
Weggefallen sind die Vorteile einer kleinen Gemeinde, vor allem das größere Zusammengehörigkeitsgefühl, die tiefe Verbundenheit mit der kommunalen Gemeinschaft und die Solidarität mit deren Bürgern. Auf einzelnen Teilgebieten will die Bevölkerung von der Zusammenlegung nach wie vor nichts wissen, und es gibt Gemeinden, die die Zusammenlegung auch heute noch kollektiv ablehnen und sie am liebsten... rückgängig machen würden...
Per Saldo hat die 1970 beschlossene Gemeindezusammenlegung dazu beigetragen, dass ein Großteil der unter das Gesetz gefallenen Gemeinden, insbesondere die Klein- und Kleinstgemeinden, wichtige neue und andersgeartete Aufgaben erfüllen können. Damit wurden aber auch die Voraussetzungen geschaffen, dass die Menschen in einer kleinen burgenländischen Ortschaft dieselben Vorteile einer besseren Infrastruktur und anderer Einrichtungen genießen können wie sonst wo in Österreich." (Eine Partei für das Burgenland.ÖVP. Eisenstadt 1985,S.116 f.)
Warum Zusammenlegung?
"Das Bedürfnis nach gesteigertem Lebensgenuss, größeres Arbeitsplatzangebot, größeres Konsumgüterangebot, bessere Unterhaltungsmöglichkeiten, günstigere Schulverhältnisse und bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder, bessere ärztliche Betreuung usw. veranlassen heute Menschen, sich in größeren Ansiedlungen sesshaft zu machen. ... Die ständig steigenden Anforderungen, welche an öffentliche Einrichtungen, wie Post und Telefon, Sicherheitsdienst, Schulen usw., gestellt werden, ... machen es unmöglich, jedes Dorf mit solchen zentralen öffentlichen Einrichtungen auszustatten... Aus der Vielzahl gleichrangiger Dorfsiedlungen wird sich nur ein ganz geringer Teil zu echten Mittelpunkten eines jeweiligen Bereiches herausbilden, während die restlichen Dörfer einen Bedeutungsverlust erleiden werden und ihre echte Funktion sich zwangsläufig auf einen landwirtschaftlichen Wohn- und Betriebsstättenstandort beschränken wird... Ziel dieser Neuordnung sind gut ausgestattete leistungsfähige lokale Kerne welche imstande sind, die Dörfer ihrer Wirkbereiche ausreichend mit öffentlichen und privaten Diensten zu versorgen und welche auch soviel Anziehungskraft besitzen, um die aus den Dörfern abwandernden Menschen auffangen zu können; andernfalls wird die Abwanderung gleich in die Mittel- und Großstädte erfolgen und damit zu einer Entvölkerung des ländlichen Raumes überhaupt führen." (BF, 23.12.66,S.9)
Zum Beispiel Antau - Hirm
Jänner 1971 demonstrierten Antauer mit 50 Traktoren und 30 PKW 250 Bürger , vor dem Eisenstädter Landhaus gegen den Zusammenschluss ihrer Gemeinde mit Hirm. Auf einem Spruchband ließen die Antauer deutlich erkennen, dass sie mit einem Zusammenschluss in der neuen Gemeinde Wulkatal einverstanden wären... Die Demo erregte in Eisenstadt einiges Aufsehen, zumal es nicht immer ganz friedlich und ruhig zuging." BF 28.1.71. S.3
Die Raumplaner hatten eine Großgemeinde Wulkatal (Pöttelsdorf, Zemendorf, Stöttera, Antau, Hirm vorgesehen, die ÖVP war dagegen - unglückliche Lösung, die nicht hielt).
20 Jahre später: Gemeindetrennung
Manche Gemeindezusammenlegungen erfolgten also gegen den Willen der Bevölkerung. Der Widerstand war nie völlig verstummt und wurde in Wahlkämpfen - besonders von der ÖVP - auch immer wieder aufgegriffen. In den 1980er Jahren wurde es immer deutlicher, dass manche Zusammenlegungen auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten waren. Man begann sich darüber Gedanken zu machen, wie die Gemeindetrennung in den strittigen Fällen erfolgen könnte. 1986 wurde eine Änderung der Gemeindeordnung beschlossen, in der den einzelnen Ortsteilen wieder mehr Rechte eingeräumt wurden. Man sprach von "innerer Autonomie" der Ortsteile. Die Ortsvorsteher bekamen wieder mehr Wirkungsmöglichkeiten. Aber schon im Landtagswahlkampf 1987 wurde die Gemeindetrennung wieder zum Thema. LH-Stellvertreter Sauerzopf sagte den "scheidungswilligen" Gemeinden die Möglichkeit der Trennung zu. Die beiden Großparteien einigten sich schließlich im Feber 1987 auf eine schrittweise Durchführung der Trennung. Eine Expertenkommission wurde zunächst eingesetzt, die die rechtlichen und finanziellen Fragen prüfen sollte. Im April 1988 erließ der Gemeindereferent Sauerzopf eine Verordnung zur Gemeindevermögenstrennung, gegen die es zunächst auf SPÖ -Seite schwere Bedenken gab. Anfangs ließen zahlreiche Gemeinden ihren Wunsch auf Trennung erkennen; viele unterschätzten allerdings die Schwierigkeiten. Bis 1989 langten schließlich neun Anträge auf Trennung ein, nur zwei konnten bis Ende des Jahres abgeschlossen werden.
Beispiele: Siegendorf - Zagersdorf, Antau - Hirm
Die "reiche" Industriegemeinde Siegendorf und die kleine Weinbauerngemeinde Zagersdorf wurden zusammengeschlossen, wovon vor allem Zagersdorf profitierte. Trotzdem blieb der Wunsch nach Unabhängigkeit immer erhalten. Das Problem war hier - wie in vielen anderen, ähnlich gelagerten Fällen - die Finanzierung dieser Selbständigkeit, vor allem einer eigenen Gemeindeverwaltung und einer eigenen Schule. Die Trennung zog sich über längere Zeit hin, da erst entsprechende Finanzierungsmodelle erarbeitet werden mussten. Ähnlich war die Situation in Antau und Hirm, wobei hier noch der Unterschied zwischen dem "kroatischen" Antau und dem "deutschen" Hirm dazukam. In Antau hatte man immer das Gefühl, das "Reserverad am Gemeindewagen" zu sein, obwohl auch hier vor allem Antau finanzielle profitierte. In Antau gab es eine Volksbefragung: 83 % der Bevölkerung sprachen sich für die Trennung aus. Die Trennung der Volksschule war zunächst nicht möglich, sie wurde erst nach einer neuerlichen Befragung im Jahre 1995 durchgeführt...
Ein anderes Beispiel für eine Trennung waren Baumgarten - Draßburg. Dort fiel die Abstimmung im Gemeinderat 20 : 1 zugunsten der Trennung aus. Das Problem dabei war das in Baumgarten gelegene, von beiden Gemeinden errichtete, sanierungsbedürftige Schwimmbad, das man schließlich stilllegen musste, da sich die kleine Gemeinde Baumgarten die aufwendige Sanierung nicht leisten konnte.
Bedenken gegen die Trennung
"Einige Betreiber der Ideologie des Kleinen beispielsweise träumen bereits von der Rückkehr zur alten Dorfromantik, zu Zwergschulen und zur Sonntagsrunde am Dorfbrunnen. Fehlt noch die Verpflichtung, jeder Burgenländer müsse aus Tourismusgründen an Wochenenden einen blauen Schurz tragen und einen persönlichen Hausstorch halten."
...Man sollte dieses Thema aber mit dem gebührenden Ernst und mit Verantwortungsbewusstsein behandeln. Wir brauchen menschliche, aber auch moderne, rationell verwaltete und wirtschaftlich lebensfähige Gemeinden..." BF 20.4.1988, S.2