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Harald Prickler, Burgenland im Spätmittelalter
(Auszug aus: Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 1994,Band 25,S. 65 - 83)

Nach Ende des Hochmittelalters war die Bevölkerung unseres Gebietes noch in viele Schichten freier, halbfreier und unfreier Menschen gegliedert; es gab die Schichte der Funktionsträger im königlichen Auftrag, der höheren Beamten am Königshof und an der Spitze der Komitate (Burggespanschaften), mit der die Gruppe der 'nobiles advenae', der vornehmen Einwanderer, die für ihre dem König im Krieg oder in anderen Funktionen geleisteten Dienste mit Landbesitz reich begabt wurden, bald zur Schichte der 'Barone', des Hochadels, verschmolz; man nannte sie später 'Magnaten'. Eine zweite Schichte waren die königlichen 'servientes', Dienstleute, Beamte in niedrigeren Verwendungspositionen, zu denen sich die Servientes der Barone gesellten; beide Gruppen verschmolzen im Spätmittelalter zur Gruppe des Mitteladels; diese Schicht hatte starke Ähnlichkeit zum Ritterstand der deutschen Länder. Die Gruppe der 'udvornici' der verstreut auf dem Land lebenden Hofleute des Königs und der Gespanschaften (Komitate), verschmolz in unserem Zeitraum mit den bäuerlichen Hörigen der sich bereits ausbildenden geschlossenen Territorialherrschaften des Königs und der Barone zur Gruppe der Untertanen, Iobagiones, subditi, deren 'Unfreiheit' auf ihren nach österreichischem Muster von der Grundherrschaft als 'Lehen' übertragenen Bauernhof überwälzt wurde; diese Erbuntertänigkeit ist jedoch streng von der an der untersten Skala der Gesellschaft stehenden eigentlichen 'Leibeigenschaft', der Sklaverei zu trennen; auch diese Schichte (die Sklaven) ist zu Beginn unseres Betrachtungszeitraumes in unserem Gebiet vereinzelt noch anzutreffen, der Wert eines als freie Handelsware verkauften Sklaven lag hiebei weit unter der eines Pferdes. Über die Schicht der 'Hospites' und 'cives' , vor allem aber nicht nur in größeren Siedlungen lebenden Menschen, deren Rechtsstellung halbfreie Züge aufweist ... soll aber doch angemerkt werden, nämlich dass das Recht dieser Hospites - Siedlungen zur freien Wahl ihres Richters (villicus, iudex, modifiziert als Wahl aus Dreier- oder Vierervorschlag des Grundherrn!) im Laufe unserer Periode auf alle untertänigen Dorfsiedlungen übertragen wurde, eine 'demokratische' Einrichtung.

Eine gesellschaftliche Sonderstellung nahmen die im unteren Bereich des Kriegs- bzw. Verteidigungswesens verwendeten Grenzwächter und Schützen (Bogenschützen) ein, deren persönliche Freiheit in praxi durch ihre Funktionsverpflichtung stark eingeschränkt war. Einigen Siedlungen dieser Grenzwächter oder Wärtergelang durch wiederholte Bestätigung ihrer Rechtsstellung als Freisassen, der sogenannten 'einhufigen' nur mit einem Hof versehenen, 'hétszilvafás' nemesek, 'siebentwetschkenbäumigen' Bauernadeligen; andere Wartsiedlungen und auch die Schützenorte wurden aufegegeben, in untertänige Bauernorte umgewandelt. Als ein Beispiel für einen solchen umgewandelten Grenzwächterort nennen wir Rauchwart; der Name dieser am Rande der zu Beginn unseres Zeitraumes noch weitgehend unbewohnten Grenzgegend zwischen Strem und Lafnitz liegenden Ortschaft bedeutet ' rauhe Wart', d.h. 'öde Wart', ungarisch heißt er Pusztaör. Dies deutet darauf hin, dass die Umwandlung von einem Grenzwächterort in ein Dorf untertäniger deutscher Bauernkolonisten nach einem zeitlichen Einschnitt, nach vorübergehnder Verödung der Siedlung, erfolgt ist. Diese Verödung muss aber schon vor der Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgt sein, als der 'Schwarze Rod', die Pest, große Teile der europäischen Bevölkerung hinwegraffte. Die 1327 erfolgte 'Erneuerung' der Wart zwischen den königlichen Burgen von Güssing und Bernstein durch König Karl Robert bezog sich wohl nur auf die heutigen Wartorte Ober- und Unterwart, wozu noch ein Teil von Jabing, Kleinbachselten und Klein-Schachendorf kam, denen der Aufstieg in den Kleinadelsstand gelang.

Die Verwendung des Begriffs 'Lehen' für den Bauernhof, die Session, treffen wir bereits im 13. Jahrhundert an, ebenso den Begriff 'Bergrecht' für die freie Leiheform der Weingärten; diese aus den benachbarten deutschen Ländern stammenden Begriffe beweisen, dass die Ansiedlung der deutschen Bauernkolonisten nach den in den deutschen Ländern üblichen Rechtsnormen vor sich ging.Trotz des sehr großen Anteils altslawischen Sprachguts in den Fluss- und Ortsnamen und anderen topographischen Bezeichnungen deuten diese Rechtsverhältnisse darauf hin, dass der Bereich des Nord- und Mittelburgenlandes bereits gegen Ende des Hochmittelalters überwiegend von deutschen Bauern besiedelt war; ihre korporativ, in größerer menschlicher Schubzahl erfolgte Einwanderung ist auch an der einheitlichen Siedlungsform ablesbar; die in eng geschlossenem räumlichen Verband als Zeilen-, Straßen- und Angerdörfer angelegten Siedlungen umfassten ursprünglich im Durchschnitt etwa 20 - 30 Bauernhöfe oder Lehen, wenn wir annehmen, dass sich in der Zahl der in den spätmittelalterlichen Urbaren angegebenen Lehen die ursprüngliche Dorfanlage spiegelt. Im Südburgenland dürfte diese Entwicklung, nämlich die Anlage deutscher Kolonistendörfer bei gleichzeitiger Auflassung vieler kleinerer Siedlungen und vereinzelter Höfe, sogenannter 'predia' zeitlich etwas später eingesetzt haben und sich wohl bis ans Ende des 13. Jahrhunderts fortgesetzt haben. Hier finden wir z.B. im Bereich der Günser und Bernsteiner Berge die königlichen Grenzburgen Bernstein, Lockenhaus und Güns, die ausnahmslos im 13. Jahrhundert entstanden; sie gelangten als ogenannte 'Amtslehen' in die Hände der Obergespane des Komitates Eisenburg, der sogenannten 'grafen von Güssing oder Güns' und wurden durch den Neubau weiterer Burgen wie Schlaining, St. Veit, Rechnitz zu einem starken Fortifikationskranz ausgebildet. Im Herrschaftsbereich dieser Burgen gibt es ein besonders gehäuftes Vorkommen von Ortsnamen, die auf deutsche Personennamen zurückgehen, z.B. Tatzmannsdorf, das Dorf eines Tatzmann, Jormannsdorf, das Dorf eines Jormann, Großpetersdorf, das Dorf eines Berchtold, Loipersdorf, Dorf eines Leopold, Rumpersdorf, das Dorf eines Rumpold, Willersdorf, das Dorf eines Wieland,Salmannsdorf, das Dorf eines Salomon, Deutschgerisdorf, das Dorf eines Gerhard, Pilgersdorf, das Dorf eines Pilgrim, aber auch Schreibersdorf, Dorf des Schreibers, des Beamten des Grundherrn,Kulcárfalu, Dorf des Schlüsselverwalters, Burgkastellans usw. Zweifelsohne sind diese Siedlungen mit den Servienten der Güssinger (Günser) in Verbindung zu bringen; entweder wurden diese Orte von den Servienten gegründet oder sie wurden ihnen als 'Amtslehen', 'Dienstlehen' von ihrem Oberherrn als Belohnung für ihre Dienste zur Nutznießung überlassen. Dieser Vorgang, die Überlassung von Besitzungen anstatt des Lohnes für eine bestimmte Geldsumme 'satzweise', als Pfand bis zur Wiedereinlösung oder auf eine bestimmte bzw. unbestimmte Zeit, können wir auch auf den Besitzungen der Grafen von Mattersdorf-Forchtenstein, der Kanizsai und anderer Familien feststellen; aus deren im 14.Jahrhundert übergebenen, versetzten, verpfändeten Gütern entwickelten sich durch Vererbung und Nichteinlösung des Satzes im Spätmittelalter Edelhöfe, Kurien, die als Enclaven innerhalb der territorial weitgehend geschlossenen Großherrschaften ein bis ins 17. Jahrhundert währendes Eigenleben führten und erst zur Zeit Nikolaus Esterházys nach ungarischem Recht enteignet und den Großherrschaften eingegliedert wurden.

Für uns wichtig ist aber die Tatsache, dass diese Servienten der Magnaten seit dem 14. Jahrhundert nur deutsche Namen tragen, wie Wagramer, Gilleis, Köln, Freisinger, Warter, Flatzer usw. Dies beweist wohl, dass die Verwaltung der Grundherrschaften seit dem 13. Jahrhundert von deutschen, zumeist aus dem benachbarten österreichisch-steirischen Raum stammenden kleinen Adeligen, 'Knechten' oder Rittersleuten, durchgeführt wurden. Die Verbindung zu den Nachbarländern wurde durch häufige Heiraten der westungarischen Barone mit Adeligen oder Ministerialenfamilien des österreichisch-steirischen Raumes intensiviert. Vielfach wurde bisher angenommen, dass die Ein wanderung der deutschen Bevölkerung nach Ungarn hauptsächlich im Gefolge der adeligen Einwanderer, der 'nobiles advenae' erfolgte, ohne konkrete Hinweise auf den eigentlichen Vorgang zu besitzen; da ber die Grafen von Mattersdorf Forchtenstein schon vor 1200 aus der iberischen Halbinsel, aus Arragonien, in unser Gebiet kamen, das Geschlecht Györ, dem die Herrn von Ungarisch Altenburgt angehörten, aus Frankreich stammen soll, ist eine direkte Mitnahme ihrer deutschen Gefolgsleute nach Ungarn auszuschließen; die baldige Versippung des westungarischen Adels mit dem benachbarten österreichisch-steirischen bot hiezu aber gute Möglichkeiten. Die deutschen Mundarten des Burgenlandes werden von Eberhard Kranzmayer dem donaubayrischen Raum mit Kern zwischen Passau und Regensburg zugeordnet; dem gleichen Ursprungsgebiet gehören aber die Mundarten der benachbarten Pittener Mark, des Herrschaftsgebietes der Grafen von Formbach-Pitten, an. Ich glaube daher, annehmen zu dürfen, dass die deutsch - bayrische Besiedlung des Burgenlandes zum überwiegenden Teil direkt aus der Nachbarschaft erfolgte; für diese Annahme gibt uns z.B. der im Nordburgenland um Gols stark verbreitete Familienname Allacher einen Hinweis. Die 'Alacher' sind als Leute aus 'Alland' zu erklären, einem Dorf im Herrschaftsbereich des Klosters Heiligenkreuz im Wienerwald; Heiligenkreuz war aber seit Beginn des 13. Jahrhunderts um den Neusiedlersee reich begütert. Diese Zuwanderung deutscher Bauern aus dem Nachbarland lässt sich jedenfalls für die Spätzeit unseres Betrachtungsraumes nachweisen, als es bereits feste Familiennamen gab, für die Frühzeit bleibt es eine Hypothese, wenngleich von hoher Plausibilität.

Die Ausbildung der großen Grundherrschaften im Spätmittelalter durch Arrondierung von Kleinbesitz und Streubesitz, die deutsche Verwaltung dieser territorialen Großkomplexe, die verwandtschaftliche Annäherung des Grenzadels, die Verschmelzung der früheren Gesellschaftsschichten zu einheitlichen Adelsgruppen unterschiedlicher Abstufung einerseits und zu einem einheitlichen Stand dem Grundherrn in Erbuntertänigkeit nach österreichisch-deutscher Rechtsnorm unterworfener Höriger (Holden, subditi, Untertanen), die nur in wenigen Städten und zentralen Orten gelingende Umwandlung des hospites, cives mit den hier herziehenden Leuten aus dem Stande der udvornici und servientes zu einem einheitlichen freien Bürgerstand geht parallel mit einer immer stärkeren wirtschaftlichen Penetration unseres Raumes von Seiten der österreichisch-steirischen Nachbarschaft: In den Weingärten östlich der Leitha und Lafnitz steigt der schon im 13. Jahrhundert nachweisbare privatrechtliche Besitz der österreichisch - steirischen Stadtbürger von Hainburg, Bruck a.d.L., Wr. Neustadt, Hartberg und Fürstenfeld, aber auch der meisten Burginhaber der Viertel unter dem Wienerwald und Vorau im Laufe unseres Zeitraumes ständig an und erreicht in manchen Orten die Mehrzahl der Grundstücke; diese Durchdringung kann auch an der Verwendung der Maßeinheiten von Hartberg, Fürstenfeld, Wien und Wr. Neustadt in vielen Teilen Westungarns abgelesen werden. Man darf annehmen, dass auch diese enge wirtschaftliche Verflechtung auf privatrechtlicher Basis die rasche sprachlich-völkische Vereinheitlichung der burgenländisch-westungarischen Bevölkerung beschleunigt hat, zumal ja auch die überschüssigen Mengen ihrer eigenen landwirtschaftlichen Produktion, vor allem Wein, Getreide, Obst, Honig, Häute und Felle auf legale oder illegale Weise auf den städtischen Marktzentren der Nachbarländer abgesetzt werden konnten. Der Wein besserer Qualität ging seit dem 13. Jahrhundert in immer stärker anwachsendem Maße auch in die sogenannten 'Oberländer', nach Böhmen, Mähren, Polen und Schlesien; da der Fernhandel vor allem von den deutschen Stadtbürgern der genannten Länder durchgeführt wurde, bedeutete auch dieser Handelszweig eine stete Verbindung der westungarischen Bevölkerung zum deutschen Sprachraum.

Am Ende des Mittelalters, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, lässt sich aus den Urbaren, aus urkundlichen und anderen Quellen, z.B. aus den Flurnamen, erschließen, dass die Bevölkerung der burgenländischen Raumes bis auf einige kleine ungarische Inseln deutsch ist; diese Inseln bestehen in der Wart mit den Kleinadelsdörfern Ober- und Unterwart, Adelig-Jabing, Kleinbachselten und Klein Schachendorf.Der Ort Dürnbach, der nach den Szeuerkonskriptionen des 16. Jahrhunderts, aus einem ungarischen und einem kroatischen Teil besteht, dürfte im Spätmittelalter ungarisch besiedelt gewesen sein.Eine zweite ungarische Sprachinsel im heutigen Oberpullendorfer Bezirk umfasste den Kleinadeligenort Oberpullendorf, die untertänigen Bauerndörfer Mitter- und Unterpullendorf, sowie den teils kleinadeligen, teils untertänigen Ort Großmutschen; im heutigen Bezierk Neusiedl war der Ort Martenhofen, Martonháza, bei Apetlon, noch zur Gänze ungarisch bewohntt, während bei dem im 17.Jahrhundert noch deutsch-ungarisch bewohnten Ort Tadten (Tétény) die ungarische Bevölkerung erst in der frühen Neuzeit zugezogen sein dürfte, zur Zeit, als die weiten Flächen des Seewinkels von ungarischen heidukischen Ochsentreibern zur Weide der nach Westen getriebenen großen Ochsenherden verwendet wurde...

Mit großer Vorsicht beurteilen muss man die Orte mit einem Volksprädikat im Namen: Während die im 13. Jahrhundert genanten Orte Magyar Sussuk und Tót Sussuk, Ungarisch- bzw. Windisch Sussendorf, noch im Mittelalter wüst gewordene Orte bei Deutschkreutz, zweifelsohne auf ein ursprüngliches ungarisches bzw. slawisches Ethnicum ihrer Vevölkerung schließen lassen, scheint aber bei den Orten Magyar Baran und Német Baran für die späteren Orte Groß- und Kleinwarasdorfdie ethnische Zusamensetzung der Bevölkerung zu Ende des Mittelalters unsicher: IN Ungarisch-Warasdorf, dem heutigen Großwarasdorf, deutet eine ansehnliche Zahl deutscher Familiennamen im Urbar von 1569 neben der überwiegenden Zahl kroatischer Neusiedler auf eine spätmittelalterliche deutsche Bevölkerung, das zur Zisterze Klostermarienberg gehörende Deutsch - Warasdorf, Kleinwarasdorf, dürfte vor der Ansiedlung der Kroaten fast völlig verödet gewesen sein, da wir hier im 16. Jahrhundert neben wenigen deutschen nur auf kroatische Familiennamen stoßen: Einen wichtigen Hinweis geben hier aber wohl die von den Kroaten übernommenen und in der Neuzeit verwendeten Weingartenriednamen Steinberg, Mitterberg und Weberberg, die ein ungarisches Ethnicum der Ortschaft im Spätmittelalter wohl ausschließen. Das Dorf Kukmirn westlich von Güssing bestand im 16. Jahrhundert aus den zwei Teilen Deutsch- und Ungarisch-Kukmirn, beide sind aber von deutschen Bauern bewohnt. Ob die Bezeichnung Ungarisch-Kukmirn auf frühere ungarische Bevölkerung, etwa Angehörige der alten Grenzwächtersiedlung, schließen lässt, bleibt dahingestellt, dies wurde jedenfalls von ungarischer Seite angenommen. Die neben Leithaprodersdorf bis ins 19. Jahrhundert gebräuchliche Form UNgarisch-Prodersdorf gegenüber dem auf niederösterreichischem Gebiet liegenden Deutsch-Prodersdorf könnte theoretisch auf die hier im frühen 14. Jahrhundert nachweisbare magyarisch-széklerische Grenzwächtersiedlung zurückzuführen sein, wahrscheinlicher ist aber, dass das Namenspaar deutsch - ungarisch sich auf die staatliche Zugehörigkeit der beiden Orte bezieht; jedenfalls kann man weder aus Flurnamen noch aus anderen Quellen eine ungarische Bevölkerung von Leithaprodersdorf gegen Ende des Mittelalters glaubwürdig annehmen.

... Bei einem Grenzstreit von Nachbarorten, der im 16. Jahrhundert vor der Niederösterreichischen Regierung bzw. der Niederösterreichischen Kammer ausgetragen wurde, bezeichneten sich die zur Herrschaft Güns gehörenden Großwarasdorfer als 'Deutsche'; sie stritten mit den 'ungarischen' Raidingern um Grundstücke. Die Großwarasdorfer waren aber tatsächlich überwiegend Kroaten, die Raidinger überwiegend Deutsche, in beiden Orten gab es Minderheiten der jeweils anderen Volksgruppe. Die im Streit verwendeten Charakterisierungen 'deutsch' bzw. 'ungarisch' beziehen sich auf die grundherrschaftliche Zugehörigkeit der Orte: Großwarasdorf gehörte zur damals in österreichischer Verwaltung befindlichen kaiserlichen Herrschaft Güns, Raiding gehörte zur Grundherrschaft Landsee, die der ungarischen Landeshoheit unterworfen war. Aus diesen Beispielen ersieht man, dass man bei der Beurteilung von Volksbegriffen in Ortsnamen sehr vorsichtig sein muss; ein 'Ungerdorf' in der Steiermark oder in Niederösterreich bedeutet noch lange nicht, dass hier ungarische Grenzwächter saßen, es kann sich im simpelsten Fall auch um die Anzeigung von Himmelsrichtungen handeln.

Ein gleichfalls hierher gehöriges Problem sind die in den lateinischen Urkunden des Mittelalters überwiegend angewendeten ungarischen oder auf altslawischen Wurzeln beruhenden Ortsnamen-, Flurnamenformen und anderen topographischen Bezeichnungen: Fast alle Urkunden des ungarischen Rechtswesens wurden in den sogenannten 'glaubwürdigen Orten' den 'loca credibilia' ausgestellt oder liefen über diese; in unserem Falle waren dies vor allem die Domkapitel von Raab, Stuhlweißenburg, Wesprim, Preßburg, das Kapitel von Eisenburg, weiters einige Kloster-Konvente wie Csorna, Kapornak, sogar Casma in Kroatien. Die als Schreiber in den loca credibilia tätigen Geistlichen waren in der Regel Ungarn; für sie galten aber Latein und Ungarisch als 'idente' Sprachen, während Deutsch als Volkssprache, Vulgärsprache betrachtet wurde; diese Schreiber übersetzten daher deutsche Namensformen, wenn sie ihnen verständlich waren, zumeist ungeniert ins Ungarische oder Lateinische. Dies erklärt, warum z.B. der Ort Donnerskirchen, dessen deutsches Ethnicum durch den 1285 genannten Ortsnamen Dundolskirichun, aber auch durch mehrere im Mittelalter überlieferte Flurnamen und Personennamen eindeutig erwiesen ist, in lateinischen Urkunden noch lange unter dem Namen 'Csákány' aufscheint, noch dazu mit den Zusätzen 'Ful' =Fel, Ober-, und Tot =Winsisch, Slawisch, zu einer Zeit, als diese Zusätze dem Ethnicum der Bevölkerung längst nicht mehr entsprachen. Wenn daher in einer lateinischen Urkunde eines glaubwürdigen Ortes bei einer Siedlung unter mehreren Flurnamen in ungarischer Sprache wie "hosszu földek', 'rövíd földek' 'pap réte' und ähnlichen vereinzelt ein deutscher auftaucht, wie etwa 'Gillihart', so beweist die Mehrzehl der ungarischen Namensformen nicht das ungarische Ethnicum der Ortsbewohner, sondern im Gegenteil das deutsche Ethnicum, weil dem Urkundenschreiber die Bedeutung eines deutschen Flurnamens unbekannt war und er sie daher nicht übersetzen konnte, was ihm bei den vorgenannten Langäckern, Kurzäckern, Pfaffenacker usw. leicht fiel. Sprache bedeutet eben in dieser Zeit nicht Bekenntnis der ethnischen Zugehörigkeit, sondern einzig und allein Mittel zur Verständigung. In diesem Sinne lässt sich die Anwendung der Sprache in amtlichen Schriftstücken unseres Raumes bis ins 18. Jahrhundert verfolgen: Die niederösterreichische Freiherrenfamilie Teuffl von Krottendorf erhält als Besitzerin der ungarischen Herrschaft Landsee in den lateinischen Urkunden der glaubwürdigen Orte den Namen 'Eördeögh'; der Name einer in Rust und Ödenburg im 17. Jahrhrhundert ansässigen adeligen Bürgerfamilie wechselt zwischen 'Türk v. Türckenheim' und 'Török de Törökháza', der Name der adeligen Familie Wildendorffer wird im 16. Jahrhundert ungeniert auf 'Vadasfalvy' übersetzt bzw. umgekehrt; in den ungarisch verfassten Urbaren der Herrschaft Güns werden im 17. Jahrhundert die Familiennamen meines Heimatortes Lutzmannsburg ins Ungarische übersetzt, aus Schlögl wird Sulyok, aus Braun Barna, aus Pfeiffer Sipos usw. Diese 'Magyarisierung' ist aber nur eine scheinbare, sie erfolgt nur zum besseren Verständnis der in diesem Falle ungarischen Verwaltungsbeamten. Noch ein kurioses Beispiel: Der esterházysche Archivar des 18. Jahrhunderts wandelt in seinen lateinisch geschriebenen Dorsalvermerken zu deutschsprachigen Schriftstücken die Ortsnamen Schattendorf und Pöttelsdorf auf 'Karosfalva' und 'Koldusfalva' um, Namensformen, die nie wirklich verwendet wurden; er leitete eben den Namen von Schattendorf, damals 'Schadendorf' geschrieben, von 'Schaden' = ungarisch 'kar' ab, den Namen Pöttelsdorf von 'Bettler', ungarisch 'kodus'. Wenn diese Neigung zur ungenierten Übersetzung vom 16. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert ungebrochen zu beobachten ist, kann sie ohne Bedenken für die Zeit des Spätmittelalters angenommen werden ...

...Aus dem Beispiel der Kroatenansiedlung der Neuzeit wissen wir, dass sich ein Ethnicum in einer Dorfsiedlung gegenüber einem Mehrheitsethnicum nur dann für längere Zeit behaupten konnte, wenn es wirtschaftlich stark war: So konnte sich besispielsweise in dem mehrheitlich kroatischen Frankenau die Deutschen für lange Zeit die Besetzung der Richter- und Geschworenenstellen sichern, weil sie die Inhaber der größeren Bauernhöfe waren. Das Nebeneinanderbestehen mehrerer Ethnica in einem Ort über jahrhundertelange Dauer, ja bis heute, ist eine ausgesprochene Seltenheit und muss vor allem auf das spezifische lokale Wirken der Pfarrer als der wichtigsten Kommunikatoren der Dorfgemeinschaft zurückgeführt werden; für das Spätmittelalter fiel aber dieser bewahrende, retardierende, manchmal aber auch die Assimilierung beschleunigende Faktor weniger ins Gewicht ..."

 

 

 

 

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Quellen

  • Schünemann, K.: Die Deutschen in Ungarn bis zum 12. Jahrhundert.1923

  • Litschauer, G.F.: Zur Geschichte der deutschen Besiedlung des Burgenlandes. Burgenländische Vierteljahreshefte 2 Eisenstadt1928

  • Moór, E.: Westungarn im Spiegel der Ortsnamen. Szeged 1936

  • Moór, E.: Bemerkungen zur Siedlungskunde und Ortnamenskunde Westungarns- Ungarn Jahrbuch 18 1938

  • Kranzmayer, E.-Bürger, K.: Burgenländisches Siedlungsnamensbuch. Burgenländische Forschungen 36, 1957

  • Zimmermann, F.: Zur ältesten Siedlungsgeschichte des Burgenlandes. Burgenländische Heimatblätter IX, 1947

     

 

 

 
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