Dr. h.c. Ludwig Leser
Die profilierteste und interessanteste Persönlichkeit der burgenländischen Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit und von 1922 bis 1934 Landeshauptmannstellvertreter, 1945/46 Landeshauptmann und dann wieder bis 1946 Landeshauptmannstellvertreter.
Lesers Vater war Portier und Lagerverwalter in der Neufelder Jutefabrik. Ludwig Leser besuchte zunächst das Benediktinergymnasium in Ödenburg und dann die Handelsakademie, an der er 1910 maturierte. Er wurde in der Jutefabrik angestellt. Im Ersten Weltkrieg diente er im Honved-Infanterieregiment Nr.13. Nach seiner Rückkehr 1918 engagierte er sich in Neufeld für die dortige Sozialdemokratie und wurde in den Bezirks- und Komitatsrat entsandt. Er kandidierte für die ungarische Nationalversammlung. In der Zeit der Räteregierung wurde er im April 1919 in den Komitatsrat gewählt und Delegierter zum Sowjetkongress in Budapest. Nach der Errichtung des Gaues Deutsch- Westungarn wurde er Gaurat und für Kultur und Schulen zuständig. Als Gaukommissär hatte er seinen Sitz im Deutschen Haus in Ödenburg. Dabei machte er sich für die Einführung der deutschen Schulsprache verdient. Unter den Funktionären der Rätezeit galt er als gemäßigt und leistete den radikalen Kommunisten in einigen Fragen Widerstand, etwa indem er sich weigerte, die Entfernung der Kruzifixe in den Schulen anzuordnen. Nach dem Sturz der Räteregierung Bela Kuns im August 1919 wurde Leser von der Regierung Peidl zum Regierungskommissär Deutsch Westungarns ernannt.
Nach dem Sieg der "Weißen" im Bürgerkrieg wurde Leser wegen Hochverrates vor Gericht gestellt und zu einer einjährigen Kerkerstrafe verurteilt. Obwohl er schwer krank war gelang ihm Anfang August 1921 die Flucht aus dem berüchtigten Gefängnis von Steinabrückl nach Österreich. Am 28. August 1921 nahm Leser erstmals an einer Konferenz der burgenländischen Sozialdemokraten in Wr. Neustadt teil. Er stellte sich der Partei zur Verfügung und wirkte auch im Ödenburger Heimatdienst als Vorstandsmitglied mit. Am 27. Jänner 1922 wurde Leser Mitglied der "Verwaltungsstelle für das Burgenland" und des ständigen Dreierausschusses der Verwaltungsstelle. ER wurde rasch ein führendes Mitglied der im Jänner 1919 in Wr. Neustadt gegründeten Sozialdemokratischen Partei. Trotz anfänglicher Bedenken der Wiener Parteiführung wegen seiner Zugehörigkeit zur Räteregierung wurde er 1922 Stellvertretender Obmann und nach dem erzwungenen Rücktritt von Hans Morawitz wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten wurde er im Februar 1924 Landesparteiobmann. Bei den Landtagswahlen 1922 war er bereits Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und wurde Landeshauptmann - Stellvertreter in der ersten burgenländischen Landesregierung, ein Amt, das er bis 1934 in acht Landesregi9erungen behielt.
"Obwohl formal nie 'erster Mann' lenkte er wie kaum ein anderer Politiker die Geschicke des Landes in diesen eineinhalb Jahrzehnten. Im Unterschied zur Generallinie der Bundespartei, die sich seit 1920 in Opposition befand, verfolgte er unverrückbar eine Politik der 'großen Koalition' im Land. ... Vielfach zeigte sich, dass Leser nicht nur ein gewinnender Verhandler und brillianter Redner war, sondern ein überragendes strategisches Geschick besaß, das ihn persönlich immer wieder zum Angelpunkt der Politik im Burgenland machte ... Obwohl er - von seinen Kritikern oft als 'Bohemien' bezeichnet - kein Arbeiterführer im eigentlichen Sinn war, wurde er von der Basis seiner Partei uneingeschränkt anerkannt." (Artikel Ludwig Leser in: Burgenland. Geschichte, Kultur und Wirtschaft in Biographien. Hg. Gerald Schlag).
Im Februar 1034 entzog er sich durch Flucht einer Verhaftung. Er lebte im Exil in der Tschechoslowakei, zunächst in Preßburg. Er stand in Verbindung zu Julius Deutsch, der in Brünn das "Auslandsbüro Österreichischer Sozialdemokraten" leitete. Er schrieb Artikel für die illegale Burgenländische Freiheit, die in das Land geschmuggelt wurde. Er wirkte als Dozent an der Masaryk-Hochschule in Brünn und hielt Vorträge über die politische Entwicklung in Österreich, vor allem in den Freimaurerlogen von Brünn, Prag und Kaschau. Ab 1935 hielt er sich in Prag auf, wohin er 1937 ganz übersiedelte. Er lebte zunächst von Flüchtlingsfonds. Im Juni und Juli 1939 baute er ein weitreichendes Beziehungsnetz zu den deutschen Machtstellen in Prag auf, darunter auch zu von Neurath und Mokrin, den Chef der Verwaltung des Protektorates und zu Bentheimer, den Chef der Wirtschaftsverwaltung. Er konnte sich in Prag relativ frei bewegen. Im August 1939 wurde er vorübergehend verhaftet und nach Wien gebracht. Sechs Wochen war er in Gestapo - UNtersuchungshaft, konnte sich aber dann anschließend unter dem Decknamen Jan Laufer unbelästigt in Prag aufhalten. Als Vertreter eines Bankhauses wurde er gut bezahlt. Ohne Zweifel war Leser in dieser Zeit Konfident der Gestapo. Ab 11.Oktober 1939 diente er dem NS-Regime als V-Mann unter der Bezeichnung "Lederer" bzw. "S 26". Für den deutschen Geheimdienst war Leser wegen seiner umfangreichen Kontakte zu Sozialisten in ganz Europa, besonders aber in Skandinavien, besonders interessant. Umstritten ist, ob Leser Gesinnungsgenossen "verraten" hat. Leser stand aber auch in Verbindung zu Vertretern des österreichischen Widerstandes.
Leser war schon früh betont deutschbewusst. 1931 sagte der christlich - soziale Landeshauptmann Schreiner über ihn: "Leser war ein unermüdlicher Verfechter des Gedankens der Schaffung des deutschen Westungarn. Er war es, der mit Erfolg daran erinnert hat, dass deutscher Geist und deutsche Sprache an der Leithagrenze nicht zu Ende gehen und dass der östlichste Eckpfeiler des Deutschtums hinüberragt in die in die schmucken Dörfer und Städte des heutigen Burgenlandes. Er zählt zu jenen Pionieren des Burgenlandes, deren Bemühungen in Wort und Schrift wir es danken müssen, dass wir heute in einem autonomen Staatswesen im Rahmen Österreichs leben können." (zitiert nach Feymann, S. 97). Leser selbst sagte 1927, nach den Schattendorfer Ereignissen: "Wir wissen auch, dass die Zugehörigkeit zu Österreich ein Zwischenstadium in der endgültigen Lösung der Burgenlandfrage bedeutet, dass der heutige Zustand einmal aufhören und der Moment kommen wird, wo auch das Burgenland aufgehen wird in der großen Deutschen Republik. Erst dann, wenn vor Schattendorf die schwarz-rot-goldenen Grenzpfeiler stehen werden, erst dann werden alle Burgenländer mit Ruhe ihrer Zukunft entgegensehen können. erst dann werden sie wissen: Jetzt sind wir für ewige Zeiten gesichert vor aller Fremdherrschaft ..." (nach Feymann, S. 97).Für den Österreich- Nationalismus und den "österreichischen Menschen" der Dollfußzeit hatte Leser nur Spott übrig.
Leser hatte enge Beziehungen zu Deutschland, er hielt sich immer wieder, auch für längere Zeit, in Deutschland auf, hielt Vorträge und verfasste unzählige Artikel über das Burgenland in deutschen Zeitschriften. Die Universität Heidelberg verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. In der Begründung schrieb das Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart: " In seiner Person wird das ganze burgenländische Deutschtum geehrt, und die Heidelberger Hochschule erweist sich ihrer alten Tradition würdig, auf diese Weise das Grenzlanddeutschtum in seinem deutschen Kulturgefühl und in seinem Zugehörigkeitsbewusstsein zur großen deutschen Volksgemeinschaft zu stärken und zu kräftigen".
Leser hatte also offenbar auch dank vieler persönlicher Beziehungen keine Berührungsängste mit der deutschen Besatzung in Prag. Sympathien für den Nationalsozialismus kann man ihm allerdings nicht unterstellen, auch wenn er für die Gestapo Berichte verfasste und Informationen lieferte. Umstritten ist. ob er dabei seine sozialistischen Parteigenossen verriet. Jedenfalls blieben seine Kontakte auch für seine Parteigenossen nicht unbemerkt und das Misstrauen gegenüber Leser verhinderte, dass er nach 1945 erneut eine Parteikarriere im Burgenland machte. Er wurde nicht wieder Landesparteiobmann, obwohl er sich darum bemühte. Auf Wunsch Renners wurde er aber Landeshauptmann der Provisorischen Landesregierung. Am 12. September 1945 wurde er von der provisorischen Staatsregierung zum Landeshauptmann des Burgenlandes ernannt und nach den Wahlen 1946 wurde er Landeshauptmannstellvertreter. Aufmerksamkeit erweckte sein völlig illusorischer Versuch, Ödenburg bzw. das "Ostburgenland" zu gewinnen.
Daten* 11.08.1890 in Neufeld
Landeshautptmannstellvertreter des Burgenlandes
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