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Vermutlich hat Scarbantia - Ödenburg unter den Markomannenkriegen des 3. Jahrhunderts zu leiden gehabt; eine Brandschicht ist jedenfalls archäologisch nachgewiesen. Aber ebenso ist schon für diese Zeit die Ansiedlung von germanischen Gruppen, vermutlich Quaden, im Stadtbereich von Scarabantia zu belegen: am südlichen Rand der Stadt, in der Wandorferstraße, wurde ihre Siedlung freigelegt, in der Nähe jener Quellen, die das Wasser für die Wasserleitungen der Stadt lieferten. Es ist bekannt, daß Kaiser Mark Aurel mit mehreren Gruppen von Germanen Klientelverträge schloß. Der Wiederaufbau der Stadt war um die Mitte des 3. Jahrhunderts abgeschlossen, ja Scarabantia war größer als je zuvor; neue Stadtviertel entstanden. Aber schon um 260 folgten weitere kriegerische Einfälle aus dem Norden. Ende des 3. und Anfang des 4.Jahrhunderts wurde die Stadt daher - ebenso wie Savaria - mit Mauern umgeben.

Die archäologischen Forschungen der Nachkriegszeit haben gezeigt, daß die recht gut erhaltenen mittelalterlichen Befestigungsanlagen Ödenburgs in ihrem Kern aus der Römerzeit stammen. Es liegt hier also der ganz besondere Fall einer baulichen und strukturellen Kontinuität vor, die von der Römerzeit über das Mittelalter bis in die Gegenwart reicht. Die römischen Mauern waren 3 m breit und 8,5 m hoch, sie waren durch 34 Hufeisenbasteien und zwei starke Torbauten verstärkt. Der Verlauf der Mauer ist - verglichen mit den streng geometrischen Kastellanlagen an der Donau - etwas unregelmäßig, es mußte ja bereits verbautes Gebiet einbezogen werden. Öffentliche Gebäude von Bedeutung wurden einbezogen, andere anscheinend bedenkenlos abgerissen. Mit der riesigen Ausdehnung des ummauerten Savaria konnte sich Scarabantia nicht messen. Savaria allerdings war Provinzhauptstadt, mit einem kaiserlichen Palast und Quartieren für das kaiserliche Gefolge, mit dem Palast des Provinzstatthalters und zahlreichen weiteren Amtsgebäuden. Savaria war in den Grenzkriegen das Hauptquartier, aber auch Scarabantia hatte im Nachschub- und Versorgungssystem anscheinend eine wichtige Funktion.

Das 4.Jahrhundert war für Scarabantia keine Zeit des Niederganges, sondern eine Blütezeit, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Zahlreiche öffentliche Gebäude wurden errichtet und ältere Gebäude wurden umgebaut und erweitert. Diese Neubauten weisen einen hohen Qualitätsstandard auf, die Innenausstattung war zum Teil prächtig. Vermutlich war die Bevölkerung in dieser Zeit wenigstens teilweise christlich. In der Märtyrergeschichte des Hl. Qirinus wird jedenfalls eine große altchristliche Kirche bezeugt.

Besonders interessant sind die letzten Jahrzehnte des 4. Jahrhunderts, die Zeit also, als die Völkerwanderung bereits begonnen hatte und eine größere Gruppe von Goten, Alanen und Hunnen bereits die Donaugrenze überschritten hatte. Sie wurden als Föderaten in Pannonien aufgenommen. Zugleich fallen in diese Zeit die letzen Angriffe der Markomannen und Quaden. Scarabantia wurde offenbar angegriffen und auch erobert. Die Mauerkronen aller Basteien wurden dabei beschädigt, das nördliche Stadttor zerstört. Die Archäologen fanden eine schlammige Bodenschicht vor. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die Stadt für einige Zeit wenig gepflegt , vielleicht sogar unbewohnt war. In eben dieser Zeit muß es eine starke Zusiedlung von "Barabaren" gegeben haben, belegt vor allem durch die eingeglättete Keramik,die in dieser Fundschicht auftaucht. Es könnte sein, daß es sich dabei um jene Markomannen handelte, die unter der christlichen Fürstin Fritigil Land zwischen Carnuntum und Arrabona (Raab-Györ) zugwiesen bekamen. Es scheint, als ob in dieser Zeit die Pracht der Stadt ziemlich verfallen wäre. Innerhalb der Mauern, ja selbst auf dem Forum tauchen Lehmhütten und Blockhäuser auf. Der Zugang zum früheren kapitolinischen Heiligtum wurde zugemauert. In der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts scheint die Stadt also eher einen trostlosen Anblick geboten zu haben, aber sie blieb besiedelt.

Das Erdbeben von 456, das Savaria zerstörte, hinterließ auch in Scarabantia seine Spuren. Es wird angenomen, daß sich eine Gruppe der in der Umgebung der Stadt siedelnden germanischen Eruler (Heruler) in Scarabantia niederließ. Durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich ist es aber auch, dass neben ihnen sich auch romanische Bevölkerung in der Stadt hielt. Dafür sprechen viele Parallelen in anderen Städten.

Die eigentliche, große Überraschung aber war die folgende Zeit, für die die Archäologen Erstaunliches feststellten: Ende des 5. Jahrhunderts, Anfang 6.Jahrhundert wurde das Festungssystem wieder ausgebaut, die Stadtmauern verstärkt, die beiden Tore umgebaut; in die Stadtmauern wurden Hütten und Werkstätten eingebaut. Die Neubauten des 6, Jahrhunderts stehen nicht nur auf Steinfundamenten, auch die Wände sind wieder aus Stein, ja sogar Fußbodenheizungen wurden neu errichtet. Zahlreiche handwerkliche Berufe sind belegt. Metallgegenstände und kunstvoll ausgeführte Gläser wurden aus Norditalien importiert. Es gab Handmühlen und steinerne Backöfen, große Lebensmittelvorräte wurden in der Stadt gelagert. Das bedeutet natürlich auch, daß die Bevölkerung in der Lage war, diese Waren zu kaufen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in der Stadt nicht nur Romanen, vielleicht auch romanische Zuwanderer vom flachen Land oder aus anderen ehemaligen Römerstädten, weiterlebten, sondern dass auch die zugezogenen Eruler, die immerhin ein Jahrhundert im Bereich Scarbantias wohnten, sich eine städtische Lebensweise aneigneten. In politischer Hinsicht sind die Verhältnisse in dieser Zeit unklar. Scarbantia könnte mit der ganzen Pannonia Prima zum Reich Theoderichs gehört haben. Auch nach der Einwanderung der Langobarden wird sich an der Situation Scarabantias wenig geändert haben. In der Nähe Scarabantias lag jedenfalls auch ein bedeutender langobardischer oder erulischer Fürstensitz, wie die großartigen Gräber von Hegykö - Heiligenstein östlich der Stadt beweisen.

Noch im 6.Jh.entstanden neue Sakralbauten. Die Archäologen haben östlich der Stadt, außerhalb der Stadtmauern, eine Kirche, einen einzigen Saal mit 12 m Länge gefunden. Das Fundament war aus Stein, der Kirchenbau aus Fachwerk errichtet, also in einer Bauweise, die den Gemanen besser vertraut war. Unter dem Boden dieser Kirche wurden Gräber aus dem 5. Jh. freigelegt. Es wird daher heute kaum mehr bezweifelt, dass es auch noch in dieser Zeit eine entsprechende städtische Bevölkerung und eine christliche Gemeinde gab. Auch die Zweifel an der Tatsache, daß Scarabantia im 6. Jh. Bischofssitz war, sind weitgehend verstummt. In den 570er Jahren unterschrieb die Schlußdokumente der Konzilien von Grado zweimal ein Vigilius Scaravaciensis, also ein Bischof von Scarbantia. Nicht ganz ausgeschlossen ist freilich, dass dieser Bischof mit dem großen Zug der Langobarden, dem sich ja auch die Eruler und andere germanische Gruppen, aber auch viele Romanen aus Pannonien angeschlossen hatten, schon nach Italien gezogen war.

Es steht also fest, dass der Raum Ödenburg und mit großer Wahrscheinlichkeit auch das ganze nördliche und mittlere Burgenland im 6. Jh. noch immer relativ dicht besiedelt waren, daß es intakte Handelsbeziehungen gab, dass Kelchgläser, Gürtelschnallen und Fibeln aus norditalienischen Werkstätten bis in unser Gebiet gelangten, dass es ferner ein intaktes städtisches und kirchliches Leben gab. Weder Hunnen noch Germanen haben die bestehende Zivilisation vernichtet, ja sie haben sogar entscheidend zu ihrem Weiterbestehen beigetragen.

568 zogen die Langobarden und mit ihnen viele andere der bisherigen Bewohner Pannoniens nach Italien ab, nicht ohne sich die Rückzugsrechte auf 200 Jahre zu sichern. Die neuen Herren wurden die Awaren. Archäologisch lassen sich in Scarbantia Spuren eines Feuers, eine dicke Brandschicht, erkennen. In den Speichern verbrannten Lebensmittel, Getreide, Fleisch; wertvolle Gegenstände wie Schmuckstücke und Waffen lagen unter den Trümmern. Nun sind das alles aber keineswegs Anzeichen eines Endes der Stadt Scarbantia. Wenn die Bevölkerung - romanischer wie germanischer Herkunft - vollständig in Richtung Italien abgezogen wäre, hätte sie wohl ihre Vorräte und Wertsachen mitgenommen. Der Befund spricht eher dafür, dass die Awaren erst ihre Oberhoheit in einer weiterhin bestehenden Stadt erzwingen mussten.

Möglich, dass die Stadt für einige Jahre oder gar Jahrzehnte wieder in einen eher verwahrlosten Zustand zurücksank, dass ihre Bedeutung und ihr Reichtum für einige Zeit dahin waren. Aber verlassen und menschenleer wird sie auch in den zweihundert Jahren der Awarenzeit nicht gewesen sein. Die Lage der Siedlung, die Fruchtbarkeit der Umgebung, waren einfach zu überzeugend, um nicht immer wieder Menschen zur Niederlassung einzuladen, auch wenn die archäologischen Funde bis heute wenig Auskunft über diese Zeit geben.

Es ist noch nicht lange her, daß man in der Forschung ein Weiterbestehen der Stadt Scarbantia bis in das späte 6. Jh. für unwahrscheinlich hielt. Vielleicht gelingt es auch noch, diese letzte Lücke in der über zweitausendjährigen Kontinuität Ödenburgs zu schließen. Die Zweifel, daß 568 tatsächlich die gesamte langobardische, erulische und übrige Bevölkerung nach Italien abzog, sind längst geweckt. Es ist durchaus erklärlich, daß jene, die abwanderten, die Krieg und Unruhe in ihre neue Heimat brachten und die derartig erfolgreich waren , die italischen Langobarden also, die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen fanden, nicht aber die, die zurückblieben. Die Friedhöfe aus der Zeit nach dem Abzug geben einige Hinweise, dass dieser so vollständig nicht gewesen sein kann.

Ein anderes, archälogisch ebenfalls gut abgesichertes Beispiel für die Kontinuität in der "Völkerwanderungszeit" wäre Kesthely-Fenékpuszta am Westende des Plattensees. Dieses Beispiel liegt zwar weit weg vom Burgenland,  es ist aber sehr aufschlussreich und soll hier in groben Umrissen geschildert werden.

Kestehly - Fenékpuszta, das römische Valcum, war kein Militärlager und unbefestigt. In der Spätantike wurde es jedoch mit einer 377 x 358 m großen rechteckigen Maueranlage umgeben. Die Mauer war 2,5 m dick. An jeder Seite bestanden 10 Rundtürme, dazu kamen starke Ecktürme und zwei Tore. Innerhalb dieser Anlage gab es Wohnhäuser, einen Palast, einen großen Getreidespeicher und eine altchristliche Basilika. Auch hier bestand schon vor dem Bau der Befestigung eine große Siedlung, vielleicht das Zentrum einer kaiserlichen Latifundie. 374 wurde die Siedlung zwar zerstört, gleich darauf erfolgte aber ein rascher Wiederaufbau. Die spätrömische Bevölkerung lebte auch hier - und zwar auch noch während der Hunnenherrschaft - noch relativ ungestört, wenn auch verarmt. Mitte des 5.Jh., nach Attilas Tod, wurde die Befestigung erneut niedergebrannt. Im Horreum (Speicher) lagerte damals ein große Menge Getreide. Dass es sich dabei um eine kriegerische Eroberung handelte scheinen die vielen Menschen, die bei diesem Brand ums Leben kamen, zunächst über einige Zeit unbestattet blieben und schließlich in einem Massengrab beigesetzt wurden, zu beweisen. Es könnte sein, dass die Ostgoten, die nunmehr Pannonien in Besitz nahmen, dafür verantwortlich waren.

Aber die Festung wurde erneut aufgebaut. Manche Forscher vermuten, dass dafür die romanische Bevölkerung der Umgebung zwangsrekrutiert wurde, denn beim Bau wurden wertvolle Eisengeräte, Reste einer Bronzewerkstatt und Roheisen versteckt. Es wäre möglich, dass in dieser Siedlung der Ostgotenkönig Thiudimer, der Vater Theoderichs, der ja am Lacus "Pelsois" seinen Sitz hatte, hier residierte. 473 verließen die Ostgoten Pannonien, wobei aber umstritten ist, ob nicht der größte Teil des Landes auch weiterhin zu ihrem Einflussbereich gehörte. Die Langobarden scheinen ihren Sitz nicht in Valcum, sondern in der Nähe, in Vörs (Langobardisches Gräberfeld) gehabt zu haben. Die Befestigung aber bestand weiter, auch noch in der frühen Awarenzeit, ja sie erlebte sogar erneut eine Blütezeit. Eine altchristliche Basilika bestand weiter und wurde in dieser Zeit sogar umgebaut. Die Archäologen fanden einen Bestattungsplatz für die neue Oberschicht, die wahrscheinlich auch weiterhin germanischer Herkunft war. 630 brannte die Festung erneut nieder, vermutlich im Zuge von innerawarischen Auseinandersetzungen....

Sowohl das Beispiel Scarbantia - Ödenburg - Sopron wie auch das Beispiel Valcum- Kestehly/Fenékpuszta beweisen eindeutig, dass bei entsprechend intensiver Untersuchung das alte, sehr vereinfachte Bild von der Völkerwanderungszeit, das von einer Abfolge verschiedener Völker mit jeweiliger Welle der Zerstörung und "Ausrottung" ausging, nicht mehr haltbar ist. Auch verschiedene archäologische Befunde auf unmittelbar burgenländischem Gebiet, etwa in den Gräberfeldern von Nikitsch, weisen deutlich darauf hin, dass es immer wieder ein Nebeneinander und ein Miteinander gegeben hat.


 

 

 

 

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Quellen

 
 
 
 

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