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Die Entwicklung der Konfessionen ist im 19. Jahrhundert durch sehr unterschiedliche Tendenzen gekennzeichnet. Die Grundstimmung in der katholischen Kirche war konservativ, die Ablehnung der josephinische Reformen überwog. Eine Reaktion auf den aufgeklärten Rationalismus und das josefinische Staatskirchentum , das ja im hohen Klerus vereinzelt Anhänger gefunden hatte, war der romantische "Hofbauerkreis" in Wien um den Hl. Klemens Maria Hofbauer, der einen wichtigen Außenposten in Pinkafeld um den dortigen Pfarrer Josef Weinhofer hatte. Wie weit dieser doch eher elitäre Zirkel auf die katholische Kirche Westungarns über Pinkafeld und Umgebung hinaus ausstrahlte ist umstritten.

Das 19. Jahrhundert war auch gekennzeichnet durch die Einbeziehung der Kirchen in den auflebenden ungarischen Nationalismus, deren Rolle in der Revolution von 1848/49 und durch den Einsatz der konfessionellen Schulen im Dienste der Magyarisierung der Deutschen und Kroaten. Auch die evangelischen Kirchen waren - vielfach noch stärker als die katholische Kirche - Instrumente der Magyarisierung.

Das gesamte 19. Jahrhundert war - trotz Toleranzpatent und offizieller Gleichberechtigung - auch ein Jahrhundert des Konfessionskampfes und des Kulturkampfes. Die Auswirkungen waren auch in den Dörfern des späteren Burgenlandes zu spüren. Heftige Konflikte zerrissen vor allem die gemischtkonfessionellen Dörfer. Hauptstreitpunkte waren die Ehegesetzgebung, die gemischtkonfessionellen Ehen, die Erziehung der Kinder aus solchen Ehen, bis hin zum brutalen "Wegtaufen" der Neugeborenen. Die katholische Kirche lieferte auf diesem Gebiet einen heftigen Abwehrkampf gegen die liberale Gesetzgebung. Im Konkordat konnte sie schließlich wesentliche Vorrechte zurückgewinnen. Die Frage der Mischehen wurde durch die Einführung der Zivilehe zumindest formal und vordergründig gelöst. Anders als in Österreich wurde die Zivilehe beibehalten, auch nach dem Anschluss an Österreich.
 

Neue Ordensniederlassungen
Im 19. Jahrhundert gab es im burgenländisch - westungarischen Raum zahlreiche neue Ordensniederlassungen. Besonders wichtig wurde die Kongregation der Schwestern vom göttlichen Erlöser. 1849 in Niederbronn im Elsass gegründet, kam der Orden schon 1863 nach Ungarn. Der damalige Bischof von Raab, Johann Simor, konnte fünf Schwestern für die Betreuung eines Waisenhauses in Ödenburg gewinnen. 1867 wurde das Ödenburger Kloster zum selbständigen Mutterkloster, die Tätigkeit weitete sich immer mehr auf die Mädchenerziehung aus, vom Kindergarten bis zur höheren Schule. 1874 entstand eine Niederlassung in Neusiedl. Dort gründeten die Schwestern den ersten Kindergarten auf heute burgenländischen Gebiet. Ab 1881 war der Orden auch in Eisenstadt tätig, wo die Schwestern durch Vermittlung von Margarethe, Fürstin Esterhazy, ein Haus erwarben. Bis 1920 entstanden noch weitere sieben Niederlassungen auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. 1924 wurden sie zur österreichischen Provinz des Ordens mit Sitz in Eisenstadt zusammen geschlossen. Seit 1924 betrieb der Orden in Steinberg eine katholische Lehrerinnenbildungsanstalt, die 1938 geschlossen wurde. Nach 1945 konnte sich der Orden wieder gut entwickeln - 15 Niederlassungen wurden errichtet -  und unterhält heute bedeutende Schulanstalten in Eisenstadt, Neusiedl und Steinberg.
 

Der Hofbauerkreis in Pinkafeld
Dem Wiener Hofbauerkreis gehörte auch Franz Szechenyi an. Seine Tochter Franziska hatte 1802 den Grafen Nikolaus Batthyany geheiratet, den Grundherrn von Pinkafeld. Dadurch kam der Pinkafelder Pfarrer Josef Weinhofer in den Ausstrahlungsbereich der Hofbauer - Gruppe. Aus einer sehr religiösen Familie stammend - der Vater war Batthyány -Beamter - wurde er 1801 zum Priester geweiht. Auch drei seiner Brüder waren Geistliche. Nach Kaplansjahren in Lockenhaus und Schlaining war er 1806 bis 1859 Pfarrer in Pinkafeld. Er war ein hervorragender Prediger und außerordentlich produktiv. Neben unzähligen Predigten, die zum Teil noch während seiner Lebenszeit gedruckt wurden, verfasste er ein Tagebuch und eine umfangreiche Chronik. Aus seinem Wirkungskreis gingen angeblich 40 Priester hervor. Im Schulwesen, in der Armen- und Krankenpflege wurde er von Franziska Batthyany unterstützt. An der Kirche in Pinkafeld und an der dortigen Kalvarienbergkirche wurde gebaut, die Kirche in Mariasdorf nach dem Brand von 1849 unterstützt. Am Pinkafelder Hof der Batthyany hielten sich immer wieder bedeutende Persönlichkeiten aus dem Hofbauer - Kreis auf, etwa Zacharias Werner oder der Konvertit und damals berühmte Kanzelredner Emmerich Veith, Bischof Zängerle, die Fürsten Hohenlohe und Lichnowsky, Bischof Somogy aus Steinamanger und der wichtigste Schüler Weinhofers, Michael Haas, Bischof von Szathmár. Hofbauer selbst hatte den Plan, in Pinkafeld ein Ordenshaus der Redemptoristen zu gründen. Weinhofer gründete in Pinkafeld einen Herz- Jesu - Verein, der rasch großen Zulauf hatte. Jährlich fanden in Pinkafeld zum Herz- Jesu - Fest Prozessionen statt.

1852 berief die Gräfin Batthyany die Barmherzigen Schwestern des Hl. Vinzenz von Paul nach Pinkafeld und erbaute ihnen dort ein Kloster.1854 trat sie selbst als Schwester ein. Das Kloster pflegte arme und alte Leute, 1856 wurde auch eine Mädchenschule eröffnet. Vinzentinerinnen waren auch in Oberwart seit 1911 tätig, von 1863 bis 1018 auch in Nikitsch.
 

1848 - Die Rolle der Konfessionen
Bis heute ist in der Forschung umstritten, ob die Evangelischen, besonders die Reformierten, einen besonders hohen Anteil an den Ereignissen der Jahre 1848/49 hatten. Der konservative Adelige Graf Emil Dessewffy wandte sich schon im Oktober 1848 an Fürst Schwarzenberg mit einer langen Liste von Aufrührern, die seiner Meinung nach bestraft werden mussten. Er hielt auch den Großteil des katholischen Klerus für Verräter, besonders den Erzbischof von Gran, János Ham. Tatsächlich hielten die Bischöfe zunächst durchaus zur Regierung Batthyány, unterwarfen sich dann aber im Jänner 1949 öffentlich Winsisch-Graetz- Nur zwei Bischöfe folgten Kossuth nach Debrezin. Dessewffy und dann vor allem Graf György Andrássy schoben die Schuld am aufrührerischen Geist der Ungarn ganz dem Protestantismus zu und sahen eine ununterbrochene Linie von Bocskai über Tököly und Rákóczi bis Kossuth. Andrassy erklärte, alle Rebellen wären - mit wenigen Ausnahmen - Protestanten, ebenso wie die Offiziere und Unteroffiziere der Nationalarmee. Diese Ansicht wurde in Wien gerne übernommen und hat ihre Spuren in der Geschichtsschreibung hinterlassen.

Tatsächlich spielte die Religion in der Revolution von 1848 keine wichtige Rolle. Kossuth war evangelisch, Batthyany aber katholisch, Eötvös zwar katholisch getauft, aber Freidenker wie auch andere Liberale. In der Regierung wurde auf gleichmäßige Beteiligung von Katholiken und Protestanten geachtet. Von den Revolutionsgenerälen war die Mehrheit katholisch, von den in Arad hingerichteten Generälen waren 10 katholisch, zwei evangelisch und einer griechisch orthodox. Untersuchungen zur konfessionellen Zusammensetzung des Offizierskorps gibt es nicht, man kann also keine belegbaren Aussagen dazu machen.

Eines stimmt natürlich: Die Jahrhunderte lange Unterdrückung der Evangelischen in der Zeit der Gegenreformation hat ihre Spuren hinterlassen und das Misstrauen gegenüber Wien und dem katholischen Kaiserhaus war noch immer groß. In der Bachära nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 wurde die katholische Kirche wieder zur Stütze des Neoabsolutismus. Protestantische Kreise hingegen setzten sich eher für die nationalen Belange Ungarns ein. Auch in den Kirchen gab es einen tiefen Riss, der sich etwa auch in Westungarn-Burgenland in der evangelischen Kirche in der Ablehnung der von Wien eingesetzten geistlichen Obrigkeiten zeigte.

In Westungarn gab es nur wenige Geistliche, die gegen die Revolution Stellung nahmen. Eine der prominentesten Stimmen darunter war der Pfarrer von Pinkafeld, Josef Michael Weinhofer. Er schrieb in seiner Chronik:

"... es ist immer die Partei des Umsturzes, und jene der Ordnung, die mit einander kämpfen. Und eine der beyden Partheien muss zu Grunde gehen, entweder stürzen alle Regierungen und alle Ordnung löst sich auf, oder die Partei des Umsturzes muss vernichtet werden; der Ausgang steht in Gottes Hand, der aber nur dann helfen wird, wenn die entartete, irreligiös gewordene Menschheit wieder durch die wahre Buße zu dem Herrn seinen Gott, der ein Gott des Friedens ist, zurück kehrt. Weder Constituionen, noch Gleichstellung aller Religionen (was ein großer Missgriff unserer aufgeklärten Zeit ist) weder Landtäge oder Reichsversammlungen werden in das Chaos der Zeit Ordnung bringen, bis nicht wieder dem vom ganzen Herzen gehuldiget wird, vom Großen und Kleinen, vom Reichen und Armen, vom geistlichen und Weltlichen, in dem wir leben, und bewegen und sind... Chronik S.250
Leider gibt es noch immer Menschen, die nicht glauben, dass alle itzt in Europa statthabenden Bewegungen zusammenhängen, dass die Umsturzpartey eine und dieselbe ist, die alle Erschütterungen veranlasst und den einen und denselben Plan verfolgt. Das Endziel aller dieser Bewegungen ist die rothe Republik; die Wühler geben zwar vor lokale Ursachen, als da sind: Übergriffe der Regierung, Mangel an aufrichtiger Verständigung zwischen der Regierung und der Partei des Forschrittes, Überreiztheit der bewegten Menge, endlich die große Idee der Nazionalität. Es ist war wahr, dass diese vier Faktoren allerdings theilweise eine Rolle spielen, aber es ist auch wahr, dass die gegenwärtige wilde zeit nur die Umsturzpartei hervorgerufen hat, der die Juden hilfreiche Hand reichen. (S.251)"

Der begeisterte magyarische Patriot Anton Emaniel Herits, Pfarrer in Siegendorf, trat für die ungarische Sache ein. Pfarrer Martin Maurovich in Frankenau weigerte sich, den drei Soldaten der Jellasich - Armee, die von Frankenauern erschlagen worden waren, ein kirchliches Begräbnis zu gewähren.
 

Konfessions- und Kulturkampf
Die Restauration in der "Bach - Ära" (wie die Ungarn sagen) konnte sich dann wieder auf das Bündnis von Thron und Altar stützen. Die Begeisterung war aber nicht sehr groß. Vor allem in der evangelischen Kirche hielt der passive Widerstand, etwa gegen die neue, von der Regierung eingesetzte kirchliche Obrigkeit, weiter an.

Im Konkordat von 1855 erhielt die katholische Kirche viele ihrer Vorrechte zurück, etwa die Aufsicht über die Schulen. Es wurde angeordnet, dass in Eherechtsfragen ein kirchlicher Richter zu entscheiden habe und entsprechende "Ehegerichte" eingerichtet. Die Maigesetzte von 1868 schränkten freilich deren Kompetenzen bereits wieder ein.

Vor allem die Mischehenfrage wurde zu einem Bereich heftigster Auseinandersetzungen. Zunächst wurde festgelegt, dass alle Kinder aus gemischten Ehen katholisch getauft und erzogen werden sollten. 1791 wurde bestimmt, dass alle Mischehen vor dem katholischen Priester geschlossen werden mussten. Die Bischöfe forderten die Priester auf, Mischehen ohne Revers für die katholische Kindererziehung nicht einzusegnen. 1791 wurde festgelegt: wenn die Mutter katholisch war hatten alle Mädchen katholisch getauft zu werden, die Söhne aber könnten der Religion des Vaters folgen. Diese Kann - Bestimmung hatte verhängnisvolle Folgen, denn die katholischen Seelsorger drängten die Frauen, von nichtkatholischen Ehemännern einen Revers zu verlangen, dass alle Kinder katholisch getauft werden sollten. Im Gesetz von 1858 wurde bestimmt, dass alle Töchter die Religion der Mutter, alle Söhne die des Vaters haben sollten. Dagegen leisteten die katholischen Bischöfe heftigen Widerstand. Erst 1844 wurde die evangelische Eheschließung staatlich anerkannt. Besonders viel böses Blut lösten die Bestimmungen von 1791 über einen Konfessionswechsel aus. Wollte jemand zu einer evangelischen Kirche übertreten, musste er dies dem König anzeigen und bei einem katholischen Priester einen sechswöchigen Religionsunterricht nehmen.

Viel Ärger verursachte die Praxis des "Wegtaufens", die von beiden Konfessionen eifrig geübt wurde. Die Mutter brachte entgegen den gesetzlichen Bestimmungen das Neugeborene zu einem katholischen Priester oder einem evangelischen Pfarrer, die die Taufe vollzogen. Wenn der katholische Priester protestierte und die katholische Erziehung einforderte, wurden die Kinder zu evangelischen Verwandten in anderen Dörfern gebracht ...1843 wurde die Entscheidung über die religiöse Erziehung der Kinder den Eltern übertragen. Die katholischen Bischöfe protestierten und waren der Meinung, dass sie dann einer Eheschließung nicht assisitieren könnten. Die Auseinandersetzungen dauerten Jahrzehnte. Vor allem die katholische Kirche war nach wie vor nicht bereit, die anderen Konfessionen als gleichberechtigt anzuerkennen. Der Raaber Bischof Zalka wollte Mischehen überhaupt verbieten lassen. und wollte Kinder aus Mischehen die katholische Taufe verweigern. Auch Rom verlangte, dass alle Kinder aus Mischehen katholisch zu taufen wären. Das "Wegtaufen" blieb weiterhin übliche Praxis und wurde erst 1879 unter Strafe gestellt, was allerdings kaum Wirkung zeigte. Kein einziger Priester wurde deswegen verurteilt.

Ein Ausweg wurde schließlich in der Einführung der obligatorischen Zivilehe gefunden. 1895 trat das neue Eherecht in Kraft. Die kirchliche Taufe aber blieb auch weiterhin, bis weit in das 20. Jahrhundert, in manchen Orten bis in die Gegenwart, ein Grund für heftige Auseinandersetzungen.

Die Magyarisierung der Geistlichkeit
Ohne jeden Zweifel war die Geistlichkeit aller Konfessionen besonders eifrig an der Magyarisierung beteiligt, in den Schulen wie auch in den Kirchengemeinden. Noch im "Anschlusskampf" waren die meisten Pfarrer eifrige Vertreter eines Verbleibes des Burgenlandes bei Ungarn.

Sehr treffend, wenn auch etwas beschönigend, beschreibt Rittsteuer das Verhalten der Geistlichkeit:

" ... Der weitere Bildungsweg an den theologischen Lehranstalten förderte diese magyarische Erziehung. Da aber der kleine Mann aus dem Volk seiner Muttersprache und seinem Volkstum treu blieb, wurde zwischen dem Priester und den Gläubigen eine Kluft aufgerissen, die sich in seelsorgerischer Hinsicht sehr schlecht auswirkte. Der junge Kleriker wurde in dem Sinne erzogen, dass er auf Grund seiner magyarischen Bildung zu den 'oberen Zehntausend' Ungarns gehört und dass er daher mit dem gewöhnlichen Volk, das ungarisch nicht ordentlich beherrschte, nur das Notwendigste reden sollte. Wohl merkte man die Folgen dieser volksfremden Erziehung bis zum Ersten Weltkrieg noch nicht. Die Leute waren ja in vielfacher Hinsicht noch vom Pfarrer abhängig, der im Dorf ein entschiedendes Wort mitzureden hatte. Aber nach 1918, als sich so vieles geändert hatte, wurde die Spannung zwischen dem magyarisch denkenden Priester und der deutsch fühlenden Bevölkerung erst richtig spürbar.

Freilich waren es nicht nur nationale Gründe, die zu einer gewissen Entfremdung zwischen Klerus und einem Teil der Gläubigen führten. Es gab auch politische, wirtschaftliche und geistige Ursachen, durch die sich vor allem die Arbeiterschaft ins Lager der Kirchengegner gedrängt fühlte ..."

Rittsteuer, Kirche im Grenzraum, S. 332.

Überblick: Die katholische Kirche in Ungarn
Die Situation der Kirche in Ungarn war geprägt durch den Widerstand gegen den liberalen Staat. Eine Besonderheit Ungarns war, dass der König das "Jus Patronatus", das sich in früheren Jahrhunderten entwickelt hatte, noch immer ausübte. Der König ernannte die Bischöfe und holte erst danach die Zustimmung Roms ein. Das "Placetum regium" sah vor, dass der gesamte Schriftverkehr des Klerus mit Rom genehmigungspflichtig war und streng zensuriert wurde. Der ungarische Landtag von 1790/91 vollzog die vollständige "Rezipierung" der Lutheraner und Reformierten, ohne eine ähnliche Abhängigkeit vom Staat und ohne Kontrolle durch den Staat. Die Protestanten hatten also weitgehende "Autonomie". Die katholische Kirche sah sich benachteiligt, war aber insofern in einer schwierigen Situation. Sie verlangte einerseits die gleiche "Autonomie", andererseits hätte sie damit auf wesentliche Vorteile, die sie bisher hatte, verzichten müssen. Sie versuchte ihre Vorrangposition soweit als möglich zu behaupten, etwa im Widerstand gegen die staatlich anerkannte Mischehe oder in der Sicherung der katholischen Kindererziehung in solchen Mischehen.

Vor allem seit 1830 gab es zahlreiche heftige Auseinandersetzungen um die gemischte Ehe und die Kindererziehung. Der Reformlandtag von 1848 versuchte, das Verhältnis von Staat und Kirchen generell neu zu ordnen. Grundprinzip war dabei die völlige Gleichberechtigung aller Konfessionen. Schon der Landtag von 1843/44 hatte stillschweigend den sechswöchigen Religionsunterricht für Katholiken, die zu einer anderen Konfession übertreten wollten, abgeschafft. Auch alle nach protestantischem Ritus geschlossenen Ehen wurden anerkannt. Aber erst 1848 wurden alle Glaubensgemeinschaften - soweit sie rezipiert (anerkannt) waren - für grundsätzlich gleich erklärt. Nicht eingeschlossen waren die Juden. Auch Konfessionslosigkeit war nicht möglich. Außerdem wurde der Zehent abgeschafft und beschlossen, dass die Kirchen- und Schulbedürfnisse aus Staatsgeldern gedeckt werden sollten. Zwar wurde dieses Vorhaben dann nicht verwirklicht, da das Geld fehlte, aber in der katholischen Kirche läuteten die Alarmglocken. Man befürchtete, dass dafür die Gelder des Religionsfonds, der unter staatlicher Verwaltung stand, herangezogen würden und dadurch die Protestanten erhebliche Vorteile hätten. Man wies darauf hin, dass die Fonds nur für katholische Zwecke errichtet worden waren und daher der Kirche zurückgegeben werden müssten. Auch eine geplante Schulreform scheiterte an den fehlenden Geldern. Die Grundschulen sollten überkonfessionell werden und der Staat sollte sie finanzieren. Das Oberhaus lehnte den Gesetzesentwurf ab, das Unterhaus trat für eine Verstaatlichung der Schulen ein. Die Kirche war generell gegen jeden staatlichen Einfluss auf die Schulen.

1848/49
Zur Revolution von 1848 nahm die Kirche eine gespaltene Haltung ein. Der hohe Klerus war - allerdings mit vielen Ausnahmen - dagegen, im niederen Klerus fand die Revolution durchaus begeisterte Anhänger. Das Recht der Bischofsernennungen war in den Aprilgesetzen mit dem Recht auf Gegenzeichnung praktisch auf das Kultusministerium übergegangen. Es kam zu mehreren Bischofsernennungen. Ham, der Bischof von Szatmár, wurde als Erzbischof von Gran vorgeschlagen, Joseph Lonovics sollte Erzbischof von Erlau, Michael Horváth Bischof von Csanád werden. In Wien war man vor allem Horváth gegenüber skeptisch. Zu Beginn 1849 machte dann Kossuth Horváth zum Erzbischof von Gran, Ham war nach Wien geflohen. Diese Beschofsernennungen wurden im Juli 1849 von Wien widerrufen. Lonovics wurde inhaftiert, vor ein Militärgericht gestellt und musste zurücktreten. Horváth und ein weiterer Bischof wurden "in effigie" gehenkt. Einige Bischöfe wurden zu Kerkerstrafen verurteilt. Bischof Ladislaus Bémer von Großwardein, der auch Abgeordneter des Revolutionsparlaments war, wurde zum Tode verurteilt und dann in ein Wiener Kloster abgeschoben. Katholische Geistliche, die an der Revolution beteiligt waren, wurden eingekerkert oder in das österreichische Heer eingezogen. Gegen das KOnkordat von 1855 protestierte die ungarische Kirche, da man sie ohne Rücksicht auf die historische Eigenständigkeit einbezogen hatte.

Die innere Reform der Kirche, die von einem Teil des Klerus angestrebt wurde, richtete sich zunächst auf die Erlangung der "Autonomie". Man wollte zunächst die kirchlichen Fonds übertragen bekomme. Da die Regierung davon nichts wissen wollte sollten die Laien mobilisiert werden. Vertreter der Reformrichtung kamen vor allem aus dem niederen Klerus und aus den Orden. Pester Priester traten sogar für eine Lockerung des Zölibats und für die Muttersprache in der Liturgie ein. Prominentester Vertreter der Reformer war Michael Horváth. Er wurde nach seiner Flucht 1851 zum Tode verurteilt und konnte erst 1867 wieder nach Ungarn zurückkehren. Er sah das Grundübel in der engen Bindung der Kirche an den Staat. Für 20. August 1849 berief er eine Synode nach Pest ein, die jedoch von den Ereignissen überholt wurde. Aus den geplanten Reformen wurde nichts.

Neoabsolutismus
Im Neoabsolutismus ("Bach-Ära") protestierten die Bischöfe gegen die Gleichschaltung der ungarischen Kirche. Der Erzbischof von Gran trat lautstark für die Sonderrechte der ungarischen Kirche ein. Die Bischofskonferenzen der Gesamtmonarchie boykottierte er. Man kehrte zwar zu den konservativen aristokratischen und autoritären Strukturen zurück, machte sich aber gleichzeitig zu Fürsprechern der ungarischen Sonderrecht. Repräsentant dieser Richtung war der Erzbischof von Gran, J´nos Scitovsky, der 1848 noch gegen die revolutionären Bischöfe in Wien intrigiert hatte. Er war Garant des Neoabsolutismus, zugleich aber Förderer aller nationalen Bestrebungen. Unter ihm wurde der neue Graner Dom 1856 feierlich eingeweiht ("ungarisches Sion") 1820 war ja der Sitz des Primas von Tyrnau nach Gran verlegt worden. Der Graner Dom wurde zum Symbol des konservativen ungarischen Katholizismus. Die Priesterausbildung wurde entscheidend verbessert, die "Kleinen Seminare" (Schülerseminare als Vorstufe der Priesterausbildung) wurden eingerichtet. Das erste dieser Kleinen Seminare entstand unter Bischof Simor in Raab. Die geistlichen Orden wurden gefördert und 1853 die Jesuiten nach UNgarn zurückgerufen, Auch andere Bischöfe wie etwa Ludwig Haynald, Bischofskoadjutor von Großwardeinm wurden anfangs als habsburgfreundlich vom Klerus und der Bevölkerung abgelehnt, kehrte dann aber den ungarischen Patriotismus so stark heraus, dass er 1863 auf Wunsch König Franz Josefs zurücktreten musste. 1867 wurde er Erzbischof von Kalocsa. Die reformfreudigen Kreise im Klerus wollten die liberalen Gesetze von 1848, lehnten aber ebenfalls den Neoabsolutismus ab und trafen sich so mit den Konservativen.

Ausgleich
Im Ausgleich von 1867 wurden die reformerisch - liberalen Gestze wieder eingeführt. Der neue Erzbischof Simor wollte interessanterweise nun die Einführung des Konkordats auch in Ungarn, um gegenüber der liberalen Regierung die Position der Kirche zu stärken. Es ging dabei vor allem um das Nominationsrecht für die Bischöfe, das nunmehr auf den Kultusminister überging. Man fürchtete im hohen Klerus vor allem den Einfluss des Parlaments. Tatsächlich war es sehr schwierig, ein Einvernehmen zwischen Rom, Wien, dem König und dem Kultusminister zu finden. Das zeigte sich z. B. bei der Ernennung für den Nachfolger Simors 1891. Der neue Erzbischof Vaszary war ein Kompromisskandidat.

Im Ausgleich wurden die Gesetze von 1848 erneuert, etwa die volle zivile Gleichheit der Konfessionen. Ein weitergehendes Gesetz für allgemeine Religions- und Gewissensfreiheit, ein Anliegen des überzeugten liberalen Katholiken Eötvös, damals Kultusminister, fand jedoch keine Mehrheit. Eötvös hatte die Reformbedürftigkeit der Kirche klar erkannt. Der liberale Reformkatholizismus war aber nicht mehr mehrheitsfähig, zumal die Tendenz auch in der Gesamtkirche sich mehr und mehr gegen den Liberalismus richtete. Demokratisierung, Stärkung des Laieneinflusses, Abbau des in Ungarn besonders eklatanten Klassenunterschiedes zwischen hohem und niederen Klerus weckten den Widerstand des hohen Klerus. Sie sahen darin "unkatholische" Elemente und im Liberalismus einen gefährlichen Feind der Kirche, eine Frucht des Protestantismus. Palasthy etwa, der Herausgeber der Zeitschrift "Religio", schrieb: "Ein wahrer Katholik ist nicht liberal. Ist er jedoch liberal, dann ist er nicht katholisch ..." (zitiert nach Moritz Csáky, Die Römisch-katholische Kirche in Ungarn, S. 270).

Simor war 1867 zwar bereit, die "Autonomie" zu akzeptieren, wiederholte aber erneut die Forderung nach Herausgabe der Fonds und nach Nichteinmischung bei Bischofsernennungen. Die Fonds verfügten über ein riesiges Vermögen von etwa 24 Millionen Gulden und 300 000 Katastraljoch Grundbesitz. Der Staat wies einen Rechtsanspruch der Kirche auf die Fonds zurück. Im Parlament wurde über die Frage der Fonds heftig gestritten. 1877 betraute Franz Josef eine Kommission mit der Frage. Diese entschied: die Fonds gehören der katholischen Kirche. Die Verwaltung blieb aber auch weiterhin beim Ministerium, doch wurde 1880 ein kirchliches Kontrollorgan geschaffen.

Die Auseinandersetzung um liberale Reformen und Laieneinfluss in der Kirche artete schließlich in heftige Auseinandersetzungen mehrerer Zeitungen aus. 1870 berief Simor einen Autonomiekomgress ein. Eine Einigung kam aber wieder nicht zustande. Die konservativ- katholischen Aristokraten und auch die meisten Bischöfe beriefen sich auf die historische Einheit von Staat und Kirche. So wurde der Autonomiegedanke wieder aufgegeben. Die folgenden Autonomiekongresse - der letzte fand 1917 statt - scheiterten.

Schulen
Die Frage der kirchlichen Fonds war eng mit der Schulfrage verknüpft. Es ging um die Finanzierung eines modernen Schulwesens. Das niedere Niveau der Schulen wurde von den Liberalen auf das Desinteresse der Kirche an der Bildung zurück geführt. Im Gesetz von 1867 wurden die allgemeine Schulpflicht und die Wahlfreiheit der Eltern verankert. Am konfessionellen Charakter der Schulen wurde aber nichts geändert. Zugestanden wurde lediglich die Errichtung neuer Schulen durch Vereine, Privatpersonen, Gemeinden und den Staat. Konfessionsschulen konnten einvernehmlich in Gemeinde- oder Staatsschulen umgewandelt werden, wogegen freilich die Kirche heftigen Widerstand leistete. Die Oberaufsicht über die Schulen hatte nunmehr der Staat. 1994/95 gab es erst 975 Staats- und 1965 Gemeindeschulen, aber 5479 katholische Schulen. Von den 1868 bestehenden 26 Lehrerbildungsanstalten waren 9 königlich katholisch und wurden aus dem Unterrichtsfonds finanziert (darunter auch Raab und Ödenburg) und drei römisch katholisch, dazu kamen noch fünf katholische Lehrerinnenbildungsnastalten (darunter auch eine in Ödenburg). Bis 1896/97 stieg die Zahl der katholischen Lehrerausbildungsstätten noch stark an, 39 katholischen standen 25 staatlichen Instituten gegenüber. Von den 158 Gymnasien waren 1995/97 72 katholisch dominiert. Die Universität in Budapest war ebenfalls stark von der katholischen Kirche dominiert. Die Errichtung einer evangelisch - theologischen Fakultät war z. B. nicht möglich. Später geriet die Universität zunehmend unter staatlichen Einfluss.

Magyarisierung
Das Nationalitätengesetz von 1868 gestand den Kirchen zu, in ihren Schulen auch die Unterrichtssprache bestimmen zu dürfen. Die Kirche und etwa auch die 1894 gegründete Katholische Volkspartei unterstützen die nichtmagyarischen Nationalitäten und hielten sich von den zu radikalen Magyarisierungsbemühungen zunächst fern. Der Parteivorsitzende János Molnár freilich betonte, die Volkspartei hätte die Aufgabe, die anderen Nationalitäten "mit freundlichen Mitteln und mit Liebe" für die ungarische Staatsidee zu gewinnen, damit sie "ungarisch sprechende Ungarn" würden. Einerseits kamen viele Führer der Nationalbewegungen der Slowaken, der Kroaten, der Ruthenen aus dem Klerus, andererseits war vor allem der höhere Klerus dem magyarischen, zunehmend nationalistischen Selbstverständnis verpflichtet. 1910 waren 86,6 % des katholischen Klerus magyarischer Muttersprache, während nur 64,78 % der Katholiken Magyaren waren. Durch die Lex Apponyi wurde dann auch in den Mittelschulen der Unterricht, auch der Religionsunterricht, in ungarischer Sprache erzwungen

Die Kirchengesetze von 1868 und 1894/95
Das Religionsgesetz von 1868 folgte den Gesetzen von 1848. Das größte Problem war nach wie vor die Mischehenfrage, die Taufe und die Erziehung der Kinder. Man versucht, möglichst viele Kinder für die eigene Konfession zu sichern, wobei die Gesetzeslage wenig beachtet wurde. Das "Wegtaufen" der Kinder nahm im Verlauf des 19. Jahrhunderts sogar noch zu. Die "weggetauften" Kinder wurden in die éigenen Matrikel eingetragen . Im Gesetzesartikel LIII 1868, Paragraph 12 hieß es: "Von den aus gemischten Ehen stammenden Kindern folgen die Knaben der Religion ihres Vaters und die Mädchen jener der Mutter. Verträge, Reverse oder Verfügungen welcher Art immer, die mit dem Gesetz im Widerspruch stehen, sind auch künftig ungültig und besitzen in keinem Fall Rechtsgültigkeit". Dieses Gesetz wurde nicht nur von katholischer Seite angegriffen, auch liberale Kreise konnten sich nur schwer mit der Einschränkung der persönlichen Gewiisensentscheidung abfinden. Tatsächlich zeigte das Gesetz aber ohnedies keine Wirkung, da keine Sanktionen vorgesehen waren. Als die Protestanten ZUgang zu den Matrikeln verlangten musste der Kultusminister Erhebungen anstellen, die zeigten, dass das Gesetz vor allem von der katholischen Kirche umgangen wurde. Daraufhin wurden Strafen von 300 Gulden oder zwei Monate Kerker für alle festgesetzt, die Personen unter 18 Jahren in eine andere Konfession aufnahmen. Die Protestanten bezogen dies auch auf "weggetraufte" Kinder, 1884 wurde eine erste "Wegtaufverordnung" erlassen, Kardinal Simor protestierte heftig. Die Rechtsunsicherheit führte dazu, dass sich überhaupt nichts änderte. Da die Mischehen aber immer zahlreicher wurden und 1888 bereits nahezu 9 % aller Ehen ausmachten wurde zunehmend klar, dass die Ehegesetzgebung insgesamt stark revisionsbedürftig war. Die Zivilehe bot sich als Ausweg aus der verfahrenen Situation an. Diese aber wurde von der katholischen Kirche bekämpft. 1883 bezeichnete der Papst die Zivilehe als " ungläubige und antichristliche Philosophie" und rief die ungarische Kirche sogar dazu auf, die Religionsgesetzte von 1867 rückgängig zu machen. Kultusminister Albin Csáky veröffentlichte nach Beratungen mit den Kirchen eine zweite Wegtaufverordnung, die aber das Problem nur verschärfte. Die Haltung der Bischöfe war uneinheitlich. Johannes Zalka von Raab und Karl Hornig von Vesprém wollten überhaupt keinen Dispens für Mischehen mehr erteilen. Es blieb angesichts des Fiaskos nur mehr der Weg, die Zivilehe einzuführen. Das bedeutete freilich den offenen Kirchenkampf. Da aber nunmehr auch vom Papst eine positivere Stellungnahme zur Zivilehe kam wurden 1892 Richtlinien für ein neues Ehegesetz ausgearbeitet. In der Regierung aber gab es keine Einigkeit, Ministerpräsident Gyula Szápary trat für die fakultative Zivilehe, hauptsächlich in Mischehen, ein. Sein Nachfolger Alexander Weckerle war dann für die obligatorische Zivilehe. Inzwischen formierte sich aber erneut heftiger katholischer Widerstand gegen die liberale Regierung, der in die Gründung der Katholischen Volkspartei durch Graf Ferdinand Zichy mündete. Der Kulturkampf kam nun voll zum Ausbruch, der "gottlose Liberalismus" wurde verdammt, zumal es auch um die Judenrezeption und die allgemeine Religionsfreiheit ging. Das Parlament nahm den Gesetzesentwurf an, vom Oberhaus wurde er zu Fall gebracht. Csáky musste zurücktreten. 1894 stimmte auch das Oberhaus mit einer äußerst knappen Mehrheit von nur vier Stimmen zu. Die Religion der Eltern wurde nunmehr von den Eltern bestimmt. Nur bei Nichteinigung blieb die Regelung der dem Geschlecht nach getrennten Konfession in Kraft. Die zivilen Behörden übernahmen die Matrikelführung, gegen den Widerstand der Kirche, da damit bisher auch Einnahmen für den Pfarrer verbunden waren. 1895 folgte die Judenemanzipation und die Einführung der allgemeinen Religionsfreiheit. Kinder mussten aber nach wie vor einer öffentlich anerkannten Religion angehören.

Die katholische Kirche, zunehmend wieder traditionalistischer und konservativer, glaubte sich ihrer Rechte vom liberalen Staat beraubt. Der liberale Staat wurde als von Protestanten und Juden gelenkt und in deren Interesse handelnd gesehen. Andererseits wurden durch den "Glaubenskampf" auch Reformen in der Kirche ausgelöst. Nunmehr wurde die Teilnahme am politischen Prozess propagiert und zunehmend das soziale Engagement der Kirche eingefordert. Zahlenmäßig war ja die katholische Kirche ein sehr starkes Element und sie wurde immer stärker. Der Katholikenanteil an der Bevölkerung stieg von 45 % im Jahre 1857 auf 49 % im Jahre 1910. Die katholische Kirche gewann vor allem durch Übertritte, der Protestantenanteil hingegen ging zurück.

In parteipolitischer Hinsicht tendierten viele Katholiken zu den Konservativen, die vom Adel und vom hohen Klerus unterstützt wurden, aber auch die Deák - Partei und später die "Liberalen" waren für Katholiken wählbar. Man darf ja nicht von straff organisierten, ideologisch abgegrenzten Parteien ausgehen, sondern von Bündnissen rund um angesehene, meist noch hochadelige Persönlichkeiten, die ihrerseits häufig ihre "Zugehörigkeit" wechselten. Die Katholische Volkspartei erhob ab 1895 den Anspruch, die ungarischen Katholiken zu vertreten. Ihre führenden Persönlichkeiten waren Zichy und Moritz Esterházy, die Geistlichen Janos Molnár und Sándor Ernszt. Ihr Programm sah die Abschaffung der Zivilehe und der staatlichen Matrikelführung vor. Erst 1907 wurden diese beiden Programmpunkte fallen gelassen. Sie forderte ferner die Schulfreiheit und soziale Anliegen wie Schutz der Bauern, Genossenschaften für das Kleingewerbe usw. In West- und Oberungarn erlangte diese Partei die meiste Zustimmung, vor allem unter den Slowaken. Vom hohen Klerus wurde sie kaum unterstützt. Ministerpräsident Banffy warf der Partei "Agrarsozialismus" vor. Rom stellte sich auf die Seite der katholischen Volkspartei, Leo XIII. empfing Zichy im Vatikan. 1906 bis 1910 beteiligte sich die Katholische Volkspartei an der Koalitionsregierung des Ministerpräsidenten Wekerle. Danach verlor sie rasch an Bedeutung, vor allem weil sie das Nationalitätenproblem nicht bewältigen konnte. Die meisten Slowaken wechselten zur Nationalpartei, die sozialen Anliegen vertraten offenbar Sozialdemokraten und Christlichsoziale glaubwürdiger. Später verschmolzen sie mit den Christlichsozialen zur Christlichsozialen Volkspartei. Die Vitalität des ungarischen Katholizismus zeigte sich um die Jahrhundertwende vor allem in zahlreichen Vereinsgründungen. Die St. Stephansvereinigung der katholischen Intelligenz förderte das katholische Schrifttum. Ihr gehörten zahlreiche führende und anerkannte Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens an. Mit "Katolikus Szemle" (Katholische Rundschau) erschien eine einflussreiche katholische Zeitschrift, Ab 1900 fanden nahezu jährlich Katholikentage statt, getragen vom Katholischen Volksverein. Der hohe Klerus war all diesen Veranstaltungen gegenüber eher misstrauisch, zumal Themen wie ein christlicher Sozialismus, Wissenschaft und Erziehung, ja sogar die Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft angesprochen wurden. Die unzähligen katholischen Vereine wurden zum katholischen Landesverein zusammengefasst.

Die christlichsoziale Bewegung bekam in Ungarn erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts größere Bedeutung, Dabei muss man bedenken, dass die katholische Kirche Ungarns außerordentlich reich war und viele Menschen auch ökonomisch von ihr abhängig waren. Das Gesamtvermögen der Kirche betrug um 1900 etwa 1,5 Milliarden Gulden. Sie besaß 1,7 Millionen Katastraljoch Grund und Boden. Zu den jährlichen Einnahmen kamen die Subventionen des Staates, etwa für die Finanzierung der Konfessionsschulen oder die Besoldung der Geistlichen (Congrua). 1909 wurde eine jährliche Congrua von 800 bis 1600 Kronen festgelegt. Das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen betrug damals in Ungarn 300 bis 350 Kronen. Die christlich - soziale Bewegung konzentrierte sich zunächst vorwiegend auf die Städte. Ihr Programm richtete sich gegen Sozialdemokraten (ab 1890 Ungarländische Sozialdemokrat. Partei) und gegen die Juden, denn der Sozialismus wie der Liberalismus wurde nach Ansicht vieler Christlichsozialer hauptsächlich von den Juden vertreten und habe die Weltherrschaft der Juden zum Ziel. Die Parteipolitik und der Parlamentarismus habe die Interessen des kleinen Mannes vergessen, die Arbeiterschaft würde vom Kapital abhängig gemacht. Die Anfänge gehen auf das Jahr 1897/98 zurück In Raab begann der spätere Prälat Alexander Giesswein mit dem Aufbau eines christlichen Arbeitervereins nach österreichischem Vorbild und unter Bezugnahme auf die Sozialenzyklika Leos XIII. 1903 gründete der Rechtsanwalt Eugen Herényi in Steinamanger einen christlichsozialen Arbeiterverein. Der Plan einer christlichsozialen Partei scheiterte zunächst am Widerstand der Katholischen Volkspartei. Aber bald erstreckte sich die Tätigkeit der christlichsozialen Vereine über das ganze Land. 1904 erschien die erste christlichsoziale Arbeiterzeitung, Chefredakteur war Stephan Haller. Am Katholikentag 1904 wurde der Beschluss gefasst, einen christlichsozialen Landesverband mit Giesswein an der Spitze zu gründen. 1905 fand der erste Landeskongress statt. Noch 1905 veröffentlichten die christlichsozialen Vereine ihr Programm: "... vor allem aber benötigen wir eine sozialethische Erneuerung, die im Zeichen des Kreuzes vor sich geht und die das Gebot der Nächstenliebe im öffentlichen und privaten Leben endlich zur vollen Geltung bringt ... Das Kapital soll man nicht vernichten, enteignen, vielmehr muss man seine Auswüchse beseitigen ..." Dazu werden Gewerkschaften als hilfreich empfohlen. Gefordert wurden: allgemeines Wahlrecht, freies Versammlungsrecht, Beendigung der internationalen Aufrüstung, Einführung einer gestuften Steuer, Stärkung der Familie, Mieterschutz, staatliche Preiskontrolle, strenge Strafen für Wucher und Betrug, Grundparzellierung und Besiedlung, staatliche Kontrolle für den Handel mit Grund und Boden, Regelung des Stundenlohns, Streikrecht, Verbot von Kinderarbeit und Nachtarbeit für Frauen, gleicher Lohn für Mann und Frau, allgemeine Krankenversicherung, Reform des Armenwesens... Entscheidend war der Einsatz für das allgemeine Wahlrecht. Es wurden große Demonstrationen organisiert. Am 10. November 1907 fand die konstituierende Sitzung der Christlichsozialistischen Landespartei statt, Provisorischer Parteiobmann wurde der Rechtsanwalt Géza Lakatos. Im Parteivorstand saßen Giesswein, Karl Huszár und Prälat Sándor Ernszt. Der Durchbruch zur Massenpartei gelang aber nicht. Dafür waren mehrere Faktoren verantwortlich - die Gründung des katholischen Volksvereins, die antimagyarische Haltung der österreichischen Schwesterpartei u.a. In den Wahlen von 1910 konnte nur Giesswein ein Mandat erlangen. Erst mit dem neuen Erzbischof Csernoch (1013) und mit der Verschmelzung mit der katholischen Volkspartei setzte ein mäßiger Aufschwung ein.

Eine herausragende Gestalt im ungarischen Klerus war Ottokar Prohászka, Priester und Bischof, und in der Zwischenkriegszeit als Erneuerer der katholischen Kirche gefeiert. Er schloss sich der katholischen Volkspartei und der Christlichsozialen Partei an. Mit seinen populären, allgemein verständlichen Schriften zog er unzählige Katholiken in seinen Bann. Sein Hauptwerk (Siegreiche Weltanschauung) erschien 1903. Er gehörte zusammen mit Gustav Mailáth, später Bischof von Siebenbürgen, und Karl Kanter, "Apostel von Budapest", zu den populärsten Geistlichen der Zeit. 1905 wurde Prohászka Bischof von Stuhlweißenburg. Er setzte sich für die demokratische Staatsform und für die Aufteilung des kirchlichen Großgrundbesitzes ein. 1911 wurden drei seiner Werke, des "Modernismus" verdächtig, auf den Index gesetzt. Er ging als einziger Bischof daran, einen Teil des Grundbesitzes seiner Diözese aufzuteilen. Aus seiner starken antikapitalistischen Gesinnung resultierte sein Antisemitismus. Dazu kam ein extremer Nationalismus. In der Geschichtsschreibung wird er oft als Ideologe des Horthy - Regimes gesehen. Für Horthy trat er bis 1922 auch als Abgeordneter im Parlament ein. Prohászka starb 1927.

Trotz der Kritik an der Kirche war der Priesterberuf sehr angesehen. Er war in Ungarn vor allem für die ländliche Bevölkerung mit sozialem Aufstieg verbunden. Auch die Ordensangehörigen hatten ein entsprechendes Sozialprestige. Der Klerus war geprägt con einem elitären Selbstverständnis, das in den Diözesan - Priesterseminaren und Ordenshochschulen, vor allem aber seit 1802 am Budapester Zentralseminar vermittelt wurde. Eine wichtige Rolle spielten in der Priesterausbildung auch das Pazmaneum in Wien (1623 gegründet; rund 70 ungarische Bischöfe gingen daraus hervor), das Germanico - Hungaricum in Rom unter den Jesuiten und das Canisium und die theologische Fakultät in Innsbruck. Im Geistesleben, besonders in den Wissenschaften, spielten Priester in Ungarn noch um die Jahrhundertwende eine wichtige Rolle.

Insgesamt war die katholische Kirche und waren die Geistesströmungen in ihr sehr vielfältig, mit Ansätzen zu Reformen. Letzten Endes blieben aber all diese Bemühungen erfolglos. Vor allem der hohe Klerus blieb seiner konservativen Grundhaltung verhaftet. Die autoritären Strukturen gingen auch nach dem Zerfall Großungarns in die Verhältnisse der Zwischenkriegszeit ein.

 

 

 

 

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Quellen

  • Rittsteuer, Kirche im Grenzraum
  • Moritz Csáky, Die Römisch-katholische Kirche in Ungarn
 
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