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Die neue Staatsgrenze zerschnitt die uralten Verkehrssysteme Westungarns und veränderte die Einzugsbereiche der zentralen Orte gravierend - mit schwerwiegenden Folgen beiderseits der Grenze. Die Städte - Pressburg, Ungarisch Altenburg/Wieselburg, Ödenburg, Güns, Sankt Gotthard, Steinamanger - fielen an Ungarn und die Tschechoslowakei. Damit wurden die burgenländischen Dörfer von deren Märkten, von den Arbeitsplätzen, von den Versorgungszentren im Gesundheits- und im Schulbereich, von den geistigen Zentren abgeschnitten. Von den höheren Schulen blieb lediglich die evangelische Lehrerbildungsanstalt in Oberschützen im Burgenland. Von den wichtigen Gymnasien in Raab, Ödenburg, St. Gotthard war man abgeschnitten.

Die Verkehrswege waren bisher ja durchwegs von West nach Ost ausgerichtet. So bereitete der Bahnverkehr in Richtung Wien wenig Schwierigkeiten. Nach wie vor bedeutend war die Bahnlinie Ödenburg - Wiener Neustadt und die Raaber Bahn von Ödenburg über Ebenfurt nach Wien. Diese Bahn hatte auch den Zuckerrübentransport in die Zuckerfabriken von Hirm und Siegendorf zu übernehmen. Auch im Raabtal war der äußerste Süden an den Durchgangsverkehr angeschlossen. Der Seewinkel und das mittlere Burgenland waren nur über Ödenburg an das Bahnnetz angeschlossen. Die Bahnlinie Pressburg - Parndorf - Wulkaprodersdorf war 1897, die Bahnlinie Neusiedl - Pamhagen - Ödenburg ebenfalls 1897, die Verbindung Ödenburg - Deutschkreutz - Rattersdorf - Güns erst 1908 errichtet worden. Pinkafeld - Oberwart wurden 1888 an Steinamanger angeschlossen, eine Verbindung zum nahe gelegenen steirischen Bahnnetz fehlte. Erst 1925 konnte die Lücke zwischen Pinkafeld und Friedberg geschlossen werden und damit eine Eisenbahnverbindung nach Wien hergestellt werden. Oberwart - Tazmannsdorf und Oberschützen wurden 1903 an das Bahnnetz angeschlossen. Eine Nord - Südverbindung fehlte. Insgesamt gab es nur 310 Bahnkilometer, davon nur 34 km Schnellzugsverbindungen (durch die Brucker Pforte und das Raabtal).

Das größte Problem des neuen Bundeslandes war die Verbindung des Nordens mit dem Süden. Sie konnte nur über die nur wenige Kilometer breite Landenge von Sieggraben führen. Eine Fahr von Oberwart nach Eisenstadt dauerte einen ganzen Tag. Ab 1926 nahm die Motorisierung stark zu und das Problem entsprechender Straßenverbindungen wurde immer drängender. Die Autobuslinien wurden vor allem von den steirischen Grenzstädten und von Wr. Neustadt aus im Burgenland rasch ausgebaut, soweit es die Straßenverhältnisse erlaubten.

1921 galten noch 229 Orte als "verkehrsfern", 1931 waren es nur mehr 112, vor allem in den Bezirken Oberwart und Güssing.
Von den zentralen Orten war besonders Ödenburg nunmehr von seinem Hinterland abgeschnitten und geriet in den späten 1920er Jahren in eine sehr schwere Wirtschaftskrise, mit leeren Geschäften und hoher Arbeitslosigkeit. Als Beispiel seien die früher so wichtigen Ödenburger Viehmärkte angeführt. 1907 wurden noch 41 431 Stück Hornvieh, 52 393 Schweine und 10 269 Pferde aufgetrieben. 1933 waren die Zahlen auf 5857 Stück Hornvieh, 21 858 Schweine und 600 Pferde gesunken. Die Funktion Ödenburgs als Vieh-, vor allem als Pferdemarkt übernahm Mattersburg, das zum größten Pferdemarkt Österreichs wurde. Der Marktort Mattersdorf, der zuvor zwischen Ödenburg und Wr. Neustadt eingeklemmt und nahezu bedeutungslos war, konnte sich so beträchtlich entwickeln. Ähnliches gilt auch für Oberwart, das Großpetersdorf ablöste. Früher bedeutende Märkte wie Deutschkreutz und Rechnitz lagen nun unmittelbar an der Grenze und im Abseits. Neuer Mittelpunkt im Mittelburgenland wurde nicht Deutschkreutz, sondern das kleine Oberpullendorf. Neusiedl am See war und blieb ein bedeutender Getreide- und Viehhandelsplatz.

Die Vermarktung der Landesprodukte erfolgte zunächst noch wie früher durch "Marktfahrer", also Pferdefuhrwerke von privaten Kleinhändlern. Ab 1927 wurden die ersten Lastkraftwagen angeschafft. Vor allem Obst und Geflügel wurden so auf die Wiener Märkte transportiert. Manche Orte vor allem im Mattersburger Bezirk, etwa Rohrbach, waren auf den Geflügelhandel spezialisiert. Mit den eigenen Produkten wurden auch viele durch Schmuggel ins Land gekommenen Waren (z.B. Eier) nach Wien gehandelt. Die Lebensmittellieferungen aus dem neuen Bundesland nach Wien waren beachtlich. 1922 bis 1934 wurden etwa 48 000 Rindern, 12 300 Kälber und 66 000 Schweine auf den Wiener Zentralviehmarkt und den Schlachthof St. Marx geliefert.

Im Gesundheitsbereich wurden die alten, schon bestehenden Krankenhäuser aus ungarischer Zeit - Kittsee, Eisenstadt, Oberpullendorf, Oberwart und Güssing - ausgebaut. Wichtig wurden nun auch die Krankenhäuser von Wr. Neustadt, Fürstenfeld und Wien. Die ärztliche Versorgung war 1921 noch sehr schwach, verglichen mit österreichischen Verhältnissen. Nur in den Bezirken Eisenstadt und Mattersburg kamen auf einen Arzt weniger als 3000 Personen, in den Bezirken Oberpullendorf, Güssing und Jennersdorf musste ein Arzt bis zu 8000 Parsonen versorgen. Bis 1935 verbesserte sich die Situation entscheidend. Aber noch immer gab es Landstriche ohne Arzt, so etwa im Ostteil des Güssinger Bezirkes, wo es nur einen einzigen Arzt in Eberau gab. Im ganzen Land gab es erst 6 Zahnärzte und 29 Apotheken, dazu noch einige Hausapotheken.

Auch im Schulbereich änderte sich die zentralörtliche Strruktur erheblich. In ungarischer Zeit bestand auf später burgenländischem Gebiet nur ein einziger Standort mit höheren Schulen: in Oberschützen gab es neben dem Gymnasium die evangelische Lehrerbildungsanstalt. Nach dem Anschluss an Österreich wurden die Gymnasien in Eisenstadt (1923) und Mattersburg (1924) und die katholische Lehrerbildungsanstalt in Mattersburg sowie eine katholische Lehrerinnenbildungsanstalt in Steinberg (1925) errichtet. "Bürgerschulen" bestanden in ungarischer Zeit in Rust (1919), Eisenstadt (1881), Mattersburg (1919) Pinkafeld (1896) und Stegersbach (1920), Bürgerschulen für Mädschen in Eisenstadt, Steinberg (1921) und Rechnitz (vor 1913), Bis 1933 wurden folgende Hauptschulen und Fachschulen errichtet: Neusiedl (1928, für Knaben und Mädchen), Rust, Neufeld (1924), Deutschkreutz (1926), Stoob (1926), Rechnitz (1923, für Knaben und Mädchen). Oberwart (1929), Stegersbach, Güssing (1924) und Jennersdorf (1934, nur für Mädchen). Landwirtschaftsschulen entstanden in Nickelsdorf (1928) und Jormannsdorf (1926), zu deren Einzugsbereich der Norden und der Süden des Landes gehörten, sowie die Weinbauschule in Rust (1935). Kaufmännische und Wirtschaftsschulen entstanden in Eisenstadt und Oberwart. Noch immer spielten Schulen in den angrenzenden Bundesländern für die Burgenländer eine wichtige Rolle: die Gymnasien in Kalksburg, Katzelsdorf und Hollabrunn, die höheren Schulen in Wr. Neustadt und Fürstenfeld, die Hauptschulen in Bruck, Ebreichsdorf und Ebenfurt, in Wiener Neustadt, Fürstenfeld und Feldbach.
Für die Lehrerausbildung waren neben der überragenden Rolle, die Oberschützen spielte, vor 1921 auch Ödenburg, Güns, Papa, Raab, Modern und Tyrnau, aber auch schon Wien und Wr. Neustadt sehr wichtig.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern wurde durch örtliche Gemischtwarenhändler, aber auch durch ambulante Händler besorgt. In den Bezirken Mattersburg und Eisenstadt entstanden Konsumgenossenschaften. In der Kreditwirtschaft gab es zunächst sehr große Probleme, da österreichische Banken mit der Kreditgewährung an Burgenländer sehr zurückhaltend waren. Viele Bauern und Handwerker waren schwer verschuldet. Erste Raiffeisenkassen entstanden zwar noch in ungarischer Zeit, etwa besonders propagiert von deutschbewussten Politikern wie Karl Wollinger. Eine Gründungswelle setzte dann nach dem Anschluss an Österreich ein. In nahezu jedem größeren Ort entstand eine Raiffeisenkasse oder eine Kreditgenossenschaft.

Rechtsanwälte und Notare ließen sich ausschließlich in den Bezirksvororten nieder. Zusammen mit den "Gesetzten Diensten", den Ämtern und Behörden wie Bezirkshauptmannschaften, Bezirksgerichte usw. trugen sie zum Aufstieg der Bezirksvororte bei. Zu "voll ausgestatteten zentralen Orten" wurden diese aber nur zum Teil.

 

 

 

 

 
 

 
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