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Schon lange Zeit bevor das Burgeniand zu Österreich kam, gab es in diesem Raum die unterschiedlichsten Wanderbewegungen. Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung förderten die Binnenwanderung (Abwanderung), die Pendelwanderung, die Saisonwanderung und die Auswanderung. Diese räumliche Mobilität steht auch im Zusammenhang mit der weit geöffneten „Bevölkerungsschere", die einen beträchtlichen Geburtenüberschuss zur Folge hatte. Der schwach entwickelte Arbeitsmarkt konnte viele Arbeitsuchende, vor allem junge Menschen, nicht aufnehmen. Und dies änderte sich auch nicht, als das Burgenland zu Österreich kam.

Binnenwanderung
Vor dem Ersten Weltkrieg richtete sich die Binnenwanderung aus dem Raum des Burgenlandes nach Osten, nach Innerungarn, und nach Westen, nach Österreich. Nach der Grenzziehung von 1921 versiegte der Binnenwanderungsstrom nach Ungarn. Von der Abwanderung aus dem Burgenland profitierten nun vor allem Wien und Niederösterreich. In Wien lebten im Jahre 1934 laut Volkszählung 26 706 gebürtige Burgenländer, darunter 17 235 weibliche Personen. Die meisten von diesen waren Hausgehilfinnen. Sie waren als junge Mädchen nach Beendigung ihrer Schulzeit nach Wien „in den Dienst gegangen". Hauptsächlich wurden sie durch Kost und Logis entlohnt. Nach der Heirat blieben die meisten dieser jungen Burgenländerinnen in Wien. In Niederösterreich lebten zu dieser Zeit 22 060 und in der Steiermark 8 934 gebürtige Burgenländer. So fungierte das Burgenland von seinem Bestehen an bis in die 80er Jahre hinein „als Bevölkerungsspender für die Ostregion".

Pendelwanderung
Die schwach entwickelte Industrie und das bescheidene Gewerbe des Burgenlandes boten nur wenig Arbeitsplätze. Diejenigen, die das Glück hatten, im Land Beschäftigung zu finden, waren zumeist Tagespendler. Ein bemerkenswerter industriell-gewerblicher Pendlerstrom ergoss sich in das industrialisierte südliche Wiener Becken und nach Wien. Seit je her übte dieser Raum eine besondere Anziehungskraft auf die Arbeiter des heutigen nördlichen und mittleren Burgenlandes aus. In der Zwischenkriegszeit dehnte sich der Pendlereinzugsbereich des Wiener Raumes auch immer mehr auf das südliche Burgenland aus. Der langsame Ausbau der Verkehrswege und die Verbesserung der Verkehrsmittel ermöglichten die wöchentliche oder zumindest mehrmals monatliche Fahrt von der Arbeit nach Hause. Begünstigt dabei war vor allem der Mattersburger und der Eisenstädter Raum. Hier vollzog sich frühzeitig der Übergang von der saisonalen Arbeitswanderung zum Wochenpendeln.

Saisonale Arbeitswanderung (Saisonwanderung)
Schon vor 1914 hatten sich Bauarbeiter, vor allem Maurer und Zimmerleute, aus Westungarn in der ganzen Monarchie einen guten Ruf geschaffen. Ihr Hauptziel war Wien, wo sie den Sommer über Beschäftigung fanden. Meist organisierten sich diese Arbeitsmigranten aus einem Ort in einer Gruppe, die von einem so genannten Partieführer geleitet wurde. Die Gruppe gab jedem einzelnen Mitglied Schutz und Halt. Industriell-gewerbliche Saisonarbeiter kamen meist aus dem Raum um Mattersburg, Oberpullendorf und Oberwart. Spezielle Arbeitsmigranten waren die Telegraphenarbeiter aus der Gegend von Stegersbach. Jährlich fanden zwischen 100 und 200 Telegraphenarbeiter aus Stegerbach, Bocksdorf, Ollerdorf und Albendorf an allen großen Baustellen Beschäftigung. In manchen Dörfern gab es eine Spezialisierung auf ganz besonders gesuchte gewerbliche Tätigkeiten. So waren viele Maurer aus Neutal und aus Sigleß als Kaminmaurer (Fabriksschornsteine) tätig, und zwar weltweit. Diese Spezialisten waren gesucht und relativ gut entlohnt.

In der Zwischenkriegszeit ging die industriell-gewerbliche Saisonarbeit zurück. Weit verbreitet blieb landwirtschaftliche Saisonarbeit, in manchen Kleinlandschaften des Südburgenlandes sogar bis in die 1960er Jahre! Nach der Grenzziehung von 1921 konzentrierte sich die landwirtschaftliche Saisonarbeit auf die Gutshöfe des Wiener Beckens und des nördlichen Burgenlandes. Die Arbeitsämter steuerten ganz gezielt die landwirtschaftlichen Saisonarbeiter in diese Gebiete, um hier die ausländischen Wanderarbeiter zu verdrängen. Tatsächlich fanden die slowakischen Landarbeiter ab 1934 keine Beschäftigungen mehr auf den Gutshöfen. Wurden 1927 rund 1 500 landwirtschaftliche Arbeitskräfte aus dem Burgenland vermittelt, so stieg diese Zahl 15 auf rund 7 000 und erreichte 1935 bereits 8 000! Aber nicht nur nach Niederösterreich wurden burgenländische Landarbeiter vermittelt, sondern auch in andere Bundesländer, in das Deutsehe Reich und sogar nach Frankreich. Im Jahresdurchschnitt brachten diese landwirtschaftlichen Saisonarbeiter rund 7 000 Schilling ins Burgenland heim.
Der Geograph und hervorragende Kenner der Güssinger Landschaft, Ludwig Graupner, beschreibt das Phänomen der lar wirtschaftlichen Saisonarbeit wie folgt:

„Unter landwirtschaftlichen Wanderarbeitern verstehen sämtliche Arbeiter (-innen), die in landwirtschaftlichen Betrieben Arbeit fanden, und zwar bei Anbau, Ernte, Schnitt, Drus (als Dienstboten und Knechte), in Weingärten und auf Rübenfeldern usw. Zum Teil wurde in geschlossenen Gruppe auf ,Saison' gegangen. Stegersbach und St. Michael wäre im Güssinger Bezirk die Hauptgebiete, wo diese Leute ,angeheuert' wurden. Es gab ,Partieführer', die mit einem Betrieb (z.B. Gut) in Verbindung standen und nun mit einer ,Partie' auf .Saison' gingen. Meist hatten diese Partien schon ihre Stammplätze, wo sie Jahr für Jahr hinzogen und Arbeit fanden. Neben diesen gab es auch Einzelgänger und kleine Gruppen, die oft Jahr für Jahr bei demselben Bauern über die Saison in Arbeit standen. In den Jahren nach 1930 wurde diese Saisonarbeit immer mehr durch das Arbeitsamt geregelt und in geordnete Bahnen gelenkt, dabei für ordentliche Unterkünfte und Richtsätze der Bezahlung gesorgt. Die Arbeit und deren Dauer war nicht gleich. Die Saison begann im Frühjahr mit dem Rübenanbau auf den Meierhöfen. Dann trat eine Pause ein, in der mancher wieder heimreisen musste. Die Erntearbeit begann mit dem Schnitt und endete mit dem Drusch. Darauf folgte die Herbsternte der Kartoffel und Zuckerrüben, so dass die gesamte Saison bestenfalls von April bis November dauerte. Es gab dementsprechend Arbeiter, die nur einen Teil der gesamten Saison mit machten, z.B. nur Schnitt und Drusch, oder nur Schnitt, Drusch und Rübenernte, aber auch solche, die während der gesamten Saison beschäftigt waren, entweder auf einer Arbeitsstelle oder je nach Jahreszeit und Arbeitsgelegenheit auf verschiedenen.
Viele dieser Saisonarbeiter sind Kleinhäusler und ,Bergler', die einen bescheidenen Besitz haben. Dieser wird entweder von der Frau mit den jüngeren Kindern für den Eigenbedarf bewirtschaftet, während die älteren Kinder und der Mann auf Saisonarbeit gehen; oder der Mann erledigt zuerst daheim den Anbau und geht dann zum Schnitt auf Saison oder erst später nur zur Rübenernte. So gibt es, entsprechend den örtlichen Verhältnissen und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten des einzelnen und seiner Saisonarbeitsstelle, viele Abarten."

Aus dem Güssinger Bezirk kamen im Jahre 1935 allein nach Niederösterreich 3584 landwirtschaftliche Saisonarbeiter. Das waren immerhin 9,6% der Wohnbevölkerung des Bezirkes. Rund jeder zehnte Bewohner des Güssinger Bezirkes war also auf diese Erwerbsquelle angewiesen. Rechnet man noch die von diesem Erwerb unterhaltenen Familienmitglieder hinzu, so steigt der Prozentsatz derjenigen, die auf die Saisonarbeit als Lebensgrundlage angewiesen waren, auf 30%!

 

 

 

 

 
 
 
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