Die Wahl hätte eigentlich erst im März 1973 stattfinden sollen, wurden aber von der SPÖ vorgezogen. Die Gründe lagen vor allem in den personellen Veränderungen in der ÖVP. Dort war der frühere Innenminister Franz Soronics in die burgenländische Politik zurückgekehrt, löste Hans Tinhof als Landesrat und im Feber 1972 auch Reinhold Polster als Landeshauptmannstellvertreter ab. 1972 wurde auch die Generationsablöse in der ÖVP eingeleitet, mit dem Mattersburger Richter Dr. Franz Sauerzopf und Dr. Rauchwarter kamen zwei relativ junge Politiker in Spitzenpositionen. Die ÖVP versuchte, ihren neuen Spitzenkandidaten Soronics, der über einen relativ hohen Bekanntheitsgrad verfügte, in einem Zwischenwahlkampf im Burgenland zu präsentieren. Das bewog die Sozialisten, den Neuwahlantrag zu stellen. Die SPÖ begründete die Vorziehung damit, dass ein zu langer Wahlkampf vermieden werden müsse und außerdem das Regierungsprogramm bereits erfüllt sei.
Im Wahlkampf nahm die ÖVP vor allem die Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze für sich in Anspruch. Die SPÖ arbeitete mit dem Slogan vom "modernen Burgenland", in dem die Arbeitsplatz- und Industrialisierungsfrage ebenfalls im Vordergrund stand. Sie bezeichnete sich als die "Burgenlandpartei" und setzte auf Kery als einen Landeshauptmann, der auch von nichtsozialistischen Wählern akzeptiert wurde: "Mit Kery für ein modernes Burgenland" war der Wahlslogan.
Das Konzept "Für ein modernes Burgenland" knüpfte inhaltlich an die erfolgreichen Grundsätze von 1964 an: Stärkung der Wirtschaft, im wesentlichen Schaffung von Dauerarbeitsplätzen, Wohnbauförderung, Ausbau des Schulwesens und Einbindung des Burgenlandes in das überregionale und internationale Verkehrsnetz. Erstmals aufgenommen wurde der Umweltschutz und das "Streben nach einer modernen Verfassung".
Im folgenden Jahrzehnt sollten 15 000 Dauerarbeitsplätze geschaffen werden, und zwar "attraktive Industriearbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung für Männer". Es wurde damit indirekt zugegeben, dass die frühere Industrialisierungspolitik Schwächen hatte. Auch die regionalen Ungleichgewichte wurden angesprochen: besonders gefördert werden sollte die Ostteile des Oberpullendorfer und des Güssinger Bezirkes und der Seewinkel. Im Straßenbau stand man unmittelbar vor der Fertigstellung der Nord-Südverbindung, die nach etwa 20 - jähriger Bauzeit und Kosten von etwa 1,3 Mrd Schilling das Rückgrat des burgenländischen Verkehrsnetzes darstellte. Nunmehr sollte die "zweite Generation" von Verkehrsverbindungen in Angriff genommen werden, der Bau eines Autobahn- und Schnellstraßennetzes, zu dem der Eisenstädter Knoten der erste Schritt war. Den großzügigen Plänen kam dann allerdings die zunehmende Skepsis, ja Ablehnung der Bevölkerung in die Quere. Manche Ausbaupläne mussten erheblich reduziert werden.Das Wahlergebnis brachte dann aber für beide Großparteien eine bittere Enttäuschung. Die SPÖ verlor trotz eines geringen Stimmengewinnes ihre absolute Landtagsmehrheit, die ÖVP verlor auch Stimmen. Ein Freiheitlicher zog in den Landtag ein.
Die Tatsache, dass die SPÖ zwar an Stimmen gewonnen, an Mandaten aber verloren hatte, sollte weit reichende Folgen haben. Die "Wahlarithmetik" war nach Ansicht der SPÖ schuld an dieser sehr unangenehmen Situation. Eine absolute Mehrheit an Stimmen, aber eine relative Mehrheit an Mandaten wollte man nicht hinnehmen. Man begann darüber nachzudenken, wie man die Wahlordnung und schließlich auch die Verfassung ändern könnte, um derartige Situationen für die 'Zukunft zu vermeiden. Schon wenige Wochen nach der Wahl forderte Landesrat Mader eine umfassende Verfassungsreform, die von der Wahlordnung bis hin zu den Kontrollmechanismen nichts unangefochten lassen sollte. Bis zur Verwirklichung dieser Verfassung war es aber noch ein weiter Weg.
Der freiheitliche Abgeordnete Rezar sagte der ÖVP ein gemeinsames Vorgehen zu, hielt sich dann aber nicht an diese Zusage. Dazu der ÖVP-Landessekretär Schmall: "Rezar hielt aber nicht Wort. Sein Rückzieher hatte zur Folge, dass wir bei den Regierungsverhandlungen den von uns erhofften Vorteil nicht wahrnehmen konnten. Bis heute kenne ich die Gründe dafür nicht, weshalb Rezar umgefallen ist, aber das spätere Verhalten Rezars lässt auf vieles schließen". (Geschichte d. ÖVP, S.79)
Im Landtag stand es 16 SPÖ, 15 ÖVP, 1 FPÖ. Die SPÖ stellte jedoch den ersten und dritten Landtagspräsidenten, die nach der Geschäftsordnung außer bei Wahlhandlungen nicht stimmberechtigt waren. Dieser Geschäftsordnungspunkt wurde aber von der SPÖ beim Verfassungsgerichtshof erfolgreich angefochten. Die Regierungsverhandlungen gestalteten sich diesmal zwar etwas schwieriger, dann kam es aber doch zum üblichen SPÖ-ÖVP - Abkommen. Eines der Kernprobleme war die Lehrereinstellung. Man einigten sich auf einen Proporz: es sollten gleich viele "rote" und "schwarze" Lehrer eingestellt werden. Bald aber warf die ÖVP der SPÖ erneut vor, sich nicht ausreichend an dieses Übereinkommen zu halten. Den sozialistischen Forderungen nach einer Verfassungsänderung, die "eindeutige Mehrheitsverhältnisse" schaffen sollte, stimmte die ÖVP zunächst noch nicht zu.
Zu einer neuerlichen, sehr schweren Krise kam es bei der Bestellung des Direktors des Mattersburger Gymnasiums. Ein SPÖ - Kandidat, Mag. Franz Seba, bekam die Stelle, die ÖVP und die Katholische Kirche liefen dagegen Sturm und versuchten alles, um diese Bestellung zu verhindern. Die Kirche verlangte - rechtlich unbegründet - einen "katholischen" Direktor, da an der Mattersburger Schule auch einige Zöglinge der katholischen Seminars und Schülerheimes unterrichtet wurden. Die Kirche berief sich dabei auf mündliche Zusagen, die angeblich bei der Verpachtung des kircheneigenen Schulgebäudes an den Bund gemacht wurden. Der Landeshauptmann aber blieb bei dieser Entscheidung.
Das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien verschlechterte sich weiterhin durch die Vorgänge in der BEWAG, wo die SPÖ bei den Betriebsratswahlen 1969 starke Stimmengewinne verzeichnen konnte. Beide vom Zentralbetriebsrat in den Aufsichtsrat entsandte Vertreter gehörten der SPÖ an. Der Aufsichtsrat beschloss eine Änderung der Geschäftsordnung und gab dem SPÖ-Vorstandsvorsitzenden Eugen Horvath das Dirimierungsrecht .
Der ÖVP-Vorstandsdirektor Müllner wurde damit praktisch entmachtet . Die Folgen zeigten sich bei Neuaufnahmen: von 110 Fällen entschied 63 der Vorstand mit Dirimierungsrecht, in 47 Fällen kam es zu einstimmigen Beschlüssen. Auch Versetzungen wurden nach Ansicht der ÖVP willkürlich durchgeführt. In der ÖVP war man verärgert, man sprach von Parteiterror. Die SPÖ antwortete, die ÖVP würde in "ihren" Organisationen ähnlich handeln, dort hätten "rote" Funktionäre überhaupt keine Chance ...
Einige bedeutende Landesgesetze wurden allerdings gemeinsam beschlossen, wie etwa das Kindergartengesetz, das Landes-Wirtschaftsförderungsgesetz ...
Ergebnis der Landtagswahl 1972
Partei | Stimmen |
SPÖ | 84 706 |
ÖVP | 77 020 |
FPÖ | 5 109 |
KPÖ | 601 |
LPÖ | 222 |
LPÖ =Liberale Partei Österreichs |
Konflikt um die Seebrücke
Einen ersten Rückschlag musste die Regierung Kery im Jahre 1971 im Konflikt um die Seebrücke hinnehmen. Das große Projekt, das den Seewinkel verkehrsmäßig an den Eisenstädter Raum anbinden sollte und hinter dem auch die Bürgermeister der Seewinkelgemeinden standen, wurde vor allem von Biologen und Ökologen - meist aus Wien - heftig kritisiert und angegriffen. Kery stellte schließlich im April 1971 den Baubeginn zurück, um weitere Expertenmeinungen einzuholen. Im Dezember 1971 kam es erneut zu heftigen Angriffen gegen das Projekt bei einer Veranstaltung im Auditorium Maximum in der Universität Wien. Im Burgenland fand die Kritik zwar nur schwach Widerhall, aber es kündigte sich bereits der Meinungsumschwung in Richtung schonungsvollerem Umgang mit der Natur an.
Sozialökonomischer Strukturwandel
Die Abwanderung der Wähler von der ÖVP und ihre Hinwendung zur SPÖ setzte sich also auch noch in den 1970er Jahren fort, ja nahm noch größere Dimensionen an. Neben aktuellen politischen Gründen und neben den Persönlichkeiten der Politiker gab es dafür vor allem strukturelle Gründe. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungsprozess, der Rückgang der Beschäftigten in Landwirtschaft und Gewerbe, die Zunahme der Unselbständigen begünstigte die SPÖ. So verringerte sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zwischen 1970 und 1980 von etwa 38 000 auf etwa 30 000, die Zahl der Vollerwerbsbetriebe halbierte sich nahezu. Da die SPÖ doch weit stärker Arbeitnehmerinteressen vertrat, konnte sie von diesen Prozessen weit stärker profitieren.
Fischsterben im Strembach
BF 23.Juli 1970,S.9
Erste Umweltprobleme - auch die burgenländische Bevölkerung wird in Umweltfragen immer sensibler ...
Wahlkampf 1972 - "Wir müssen das moderne Burgenland bauen": LH.Kery spricht beim "Burgenland-Treffen" in Mogersgorf vor 22 000 Besuchern
BF 14.Sept.1972,S1